Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 292

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-3/seite/292

für die russische Arbeiterbewegung geblieben: Er gab den Anstoß zur Einführung der Arbeiterschutzgesetzgebung und der Fabrikinspektion in Rußland. Etwa 15 Jahre später, 1896 und 1897, machten die Arbeiter des zweiten wichtigen Bezirks der Textilindustrie, Petersburgs, 40 000 an der Zahl, den ersten Massenstreik zur Erringung besserer Löhne und einer kürzeren Arbeitszeit – eine im damaligen Rußland unerhörte Tatsache von unberechenbaren Folgen. Durch diesen ersten regelrechten gewerkschaftlichen Kampf errangen die Textilarbeiter der Zarenhauptstadt für das ganze Reich einen gesetzlichen 111/2stündigen Arbeitstag, und – was noch viel wichtiger – sie eröffneten für die russische Arbeiterschaft die Periode des systematischen gewerkschaftlichen Kampfes und eines zähen Ausbaus der Organisation, wenn auch im geheimen. Vom Jahre 1896 datiert auch im eigentlichen Rußland die erste sozialdemokratische Parteiorganisation, die, von dem Petersburger Textilstreik ausgehend, von nun an immer mehr die gewerkschaftliche und politische Bewegung im ganzen Reiche anfachte, leitete und organisierte.

Eine ebenso entscheidende Rolle spielen in der Geschichte der Arbeiterbewegung Russisch-Polens die Kämpfe des dritten großen Zentrums der Textilindustrie des Zarenreichs: des Łódźer Bezirks. Lange Zeit boten hier verschiedene soziale und nationale Momente besondere Schwierigkeiten für eine festgewurzelte gewerkschaftliche und sozialdemokratische Agitation. Da die Spinnereien und Webereien hier hauptsächlich nach der schutzzöllnerischen Tarifreform Rußlands 1877 aus Sachsen (Werdau, Crimmitschau usw.) fertig in das benachbarte russisch-polnische Gebiet als fremde Großindustrie verlegt wurden, so bildete sich in Łódź ein aus Deutschen und Juden, aus allerlei rasch bereicherten Emporkömmlingen und Glücksrittern zusammengewürfeltes skrupelloses und brutales Unternehmertum heraus. Dementsprechend war auch die Arbeiterklasse, halb aus eingewanderten Deutschen, halb aus dem tiefstehenden polnischen Proletariat der umliegenden Dörfer gemischt, sprachlich und sozial zerklüftet. Und doch gelang es einer zähen sozialdemokratischen Agitation, gestützt auf die reißende großkapitalistische Entwicklung und trotz aller Schwierigkeiten des absolutistischen Regimes, aus diesen Elementen mit der Zeit eine festgefugte, disziplinierte Arbeiterschaft zu machen, die, Deutsche wie Polen, in völliger Eintracht und gemeinsam für die Ziele der modernen Arbeiterbewegung in der vordersten Reihe kämpft.

Den ersten elektrischen Funken, der die Łódźer proletarische Masse aus dem dumpfen Schlaf weckte, bildete seinerzeit die Idee der Maifeier. Der Weltfeiertag der Arbeit, der im eigentlichen Rußland – zum Teil

Nächste Seite »