Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 289

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halb der Sozialdemokratie zu ihrem „ersten Sieg“ zujubeln werden. Was werden diese selben Schichten morgen sagen, wenn trotz der Versicherungen der Fraktion neue indirekte Steuern kommen – und sie werden kommen –, wenn neue Militärvorlagen und Flottenvorlagen im Reichstag folgen – und sie werden folgen –, wie wird da die Partei vor jenen Massen bestehen? Wir haben unsre Zustimmung zu den Militärausgaben aus Besitzsteuern damit begründet, daß auf diesem Wege neue Volksbelastung „verhütet“ und das militärische Fieber der Bourgeoisie „abgekühlt“ werde. Wenn beides sich als falsch herausstellt – und es wird sich als falsch herausstellen –, wie wird das die Volkmasse verstehen? In letzter Rechnung wäre auch in diesem Fall die grundsätzliche Politik die einzig praktische gewesen.

Unsre Fraktion hat sich unseres Erachtens im ganzen Verlauf des Kampfes viel zu sehr von dem Verhalten der Konservativen impressionieren lassen, sich zu sehr danach gerichtet, was jene tun und sagen, als wenn zur sozialdemokratischen Politik irgendwie die Richtschnur genügte, Antipode des Konservatismus zu sein. Unsern Genossen waren sicherlich die larmoyanten Versicherungen der Oertel und Konsorten zu Kopfe gestiegen, wir seien „die Herren der Situation“. Aus den Fraktionskreisen konnte man auch in der Parteipresse wörtlich die geschmacklosen Bestätigungen lesen, daß solche Äußerungen uns außerordentlich „wohl täten“. Auf eine so massive Demagogie von Leuten hereinzufallen, deren politische Kunst es seit jeher ist, „zu klagen ohne zu leiden“, und die nur auf die Liberalen und auf die Regierung eine wohlberechnete Pression ausüben wollten, hatten wir sicher keinen Anlaß. In Wirklichkeit war auch hier die Perspektive unsrer Abgeordneten stark getrübt, denn die „isolierten“ Konservativen sahen ihre reaktionären Interessen – in den Grenzen der gegebenen Situation, nach der Annahme der Wehrvorlage durch sie selbst – von dem Zentrum und den Nationalliberalen treu wahrgenommen und geschützt. Wir hingegen, die wir tatsächlich durch den Verrat der Nationalliberalen isoliert waren und gar keine Ursache hatten, uns dieser Lage zu schämen, ja, jeden Anlaß hatten, sie ganz offen vor dem Lande zu zeigen, wir triumphierten über die „Niederlage“ der Konservativen und feierten das Werk der reaktionären Kuhhändler als unsern Sieg.

Nimmt man alles in allem, so scheint es uns, daß diese Taktik, die hinausgezogen ist, um Arm in Arm mit den Liberalen den Schwarz-Blauen Block zu zerschmettern und „eine gründliche Finanzreform“ zu machen, sich dann aber mit der bescheidenen Rolle begnügte, den Wechselbalg des klerikal-nationalliberalen Kompromisses als einen ersten An-

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