Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 273

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Die dritte Lesung der Wehrvorlage brachte unsre Position wieder für einen Augenblick in die Höhe. Der Elan und die geistige Überlegenheit im Auftreten unsrer Redner, die Wucht, mit der das Erfurter Schreckensurteil[1] dem Reichstag aufs Haupt geschleudert wurde, verschafften unsrer Fraktion momentan wieder die ihr gebührende Offensive und damit volle Sicherheit und Klarheit des Standpunkts. Doch der nächste Moment – die Schlußabstimmung über die Deckungsvorlage – sollte leider die Gesamtaktion unsrer Abgeordneten mit einer Handlung krönen, die den Schwerpunkt der Taktik endgültig nach rechts verlegte: Es folgte die Annahme sowohl des Wehrbeitrags wie der Reichsvermögenszuwachssteuer durch unsre Fraktion.

Der Vorgang ist ganz neu in unsrer Parteigeschichte. Es ist formell ein Bruch mit unserm bisherigen Prinzip: Diesem System keinen Mann und keinen Groschen. Es müßten demnach ganz klare und unzweifelhafte, äußerst wichtige und zwingende Gründe dafür sprechen, wenn sich die parlamentarische Vertretung der deutschen Sozialdemokratie entschließt, für die Hergabe von öffentlichen Mitteln zu Rüstungszwecken ihre Stimmen abzugeben. Welche Gründe kann die Fraktion in diesem Fall zur Rechtfertigung ihrer Handlungsweise anführen?

Ein äußerer Umstand beweist schon auf den ersten Blick, daß in diesem Fall keine klare, keine unzweifelhafte und keine unbedingt zwingende Notwendigkeit einer solchen Abstimmung vorlag: Innerhalb unsrer Fraktion selbst war ein ganzes Drittel zum mindesten fest überzeugt, daß die Ablehnung des Wehrbeitrags geboten war. Ein zweiter Umstand, der dies bestätigt, war die offizielle Erklärung selbst, die vom Genossen Haase als Kommentar zu unsrer Abstimmung im Reichstag verlesen worden ist.[2] Dieses in der Praxis unsrer Reichstagsfraktion ungewohnte Verfahren hatte den deutlichen Zweck, den prinzipiellen Standpunkt der Partei zu wahren, unterstrich jedoch damit nur um so mehr, daß die Abstimmung selbst kommentarbedürftig, vom prinzipiellen Standpunkt nicht einwandfrei, nicht unzweideutig war. Unsre Reichstagsabgeordneten grif-

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[1] Am 27. Juni 1913 hatte das Erfurter Militärgericht sieben Reservisten zu mehrjährigen Zuchthaus- bzw. Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie am 16. April 1913 nach einer sogenannten Kontrollversammlung der Reservisten unter Alkoholeinfluß randaliert hatten. Unter dem Eindruck dieses skandalösen Urteils nahm der Reichstag am 30. Juni 1913 auf Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ein Notgesetz an, wodurch einige Paragraphen des Militärstrafgesetzbuches gemildert wurden.

[2] Im Namen der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion gab Hugo Haase vor der Abstimmung über die einzelnen Gesetze der Deckungsvorlage eine Erklärung ab, in der dem außerordentlichen Wehrbeitrag und der Besitzsteuer zugestimmt und dies als Anfang der von der Sozialdemokratie geforderten Steuerpolitik bezeichnet wurde.