Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 261

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Strömungen an. Genosse Frank, der ja auch für den Massenstreik eingetreten ist, vertritt in der Politik eine opportunistische Richtung. Er setzt sich in Baden für die Großblockpolitik mit den Nationalliberalen ein.[1] Seine Politik ist sehr einfach. Man macht im Parlament die große Politik mit allen Mitteln staatsmännischer Taktik, man paktiert mit den bürgerlichen Parteien, man macht einen großen Block der gesamten Linken; wenn aber, wie nicht anders zu erwarten, die Sache des Proletariats dadurch nicht einen Schritt vorwärtskommt, ei dann, Arbeiter, kommt auf die Straße und macht einen Massenstreik. – Die Kundgebung Franks ist ein Schulbeispiel dafür, wie man sich nicht zum Massenstreik stellen soll. Der Massenstreik ist keine Sache, die man machen kann, wenn die Politik der parlamentarischen Künstler versagt hat.

Ein Massenstreik, unter solchen Umständen ins Werk gesetzt, ist von vornherein eine verlorene Sache. Im Irrtum sind die politischen Künstler, welche glauben, sie könnten den Massenstreik heraufbeschwören und ihn mit einem Wink der Hand wieder beenden. Das kann man nicht; Massenstreiks können erst eintreten, wenn die historischen Vorbedingungen dafür gegeben sind. Sie lassen sich aber nicht auf Kommando machen. Massenstreiks sind keine künstlichen Mittel, die angewandt werden können, wenn die Partei ihre Politik verfahren hat, um uns dann von heut auf morgen aus dem Sumpf zu ziehen. – Wenn sich die Klassengegensätze so verschärft haben und die politische Situation sich so zugespitzt hat, daß die parlamentarischen Mittel nicht mehr ausreichen, um die Sache des Proletariats vorwärtszubringen, dann erscheint der Massenstreik mit zwingender Notwendigkeit, und dann hat er, auch wenn er keinen unbedingten Sieg bringt, einen großen Nutzen für die Sache des Proletariats. Nur wenn die Situation so zugespitzt ist, daß sich jede Hoffnung auf Mitwirkung der bürgerlichen Parteien, namentlich der Liberalen, zerschlagen hat, bekommt das Proletariat die Wucht im Auftreten, die für den Erfolg des Massenstreiks notwendig ist. Demgemäß läßt sich der Massenstreik nicht vereinbaren mit einer Politik, die den Schwerpunkt ins Parlament legt.

Die belgische Bewegung ist eine Fundgrube der Belehrung über das Problem des Massenstreiks. Nachdem seinerzeit das Zensuswahlrecht[2] durch den Massenstreik beseitigt war, legten unsere belgischen Genossen den Schwerpunkt ins Parlament. Der Massenstreik wurde damit in den Schrank gehängt. Das Absehen von allen Aktionen des Proletariats war

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[1] Unter dem Vorwand, den reaktionärsten Parteien, den Konservativen und dem Zentrum, eine „aktionsfähige Mehrheit“ entgegenzustellen, hatten die Sozialdemokraten im badischen Landtag 1910 mit den Liberalen einen Block gebildet. Mit diesem „Großblock“, der anläßlich der Landtagswahlen 1913 erneuert wurde, setzten sie sich in Widerspruch zu den Grundsätzen und Beschlüssen der Sozialdemokratischen Partei und unterstützten die Politik der bürgerlichen Regierung.

[2] In der Quelle: Pluralwahlrecht. – Das Zensuswahlrecht ist ein beschränktes Wahlrecht, bei dem nur Bürger, die bestimmte Wahlzensen erfüllen, wie z. B. Mindesteinkommen oder Geschlechtszugehörigkeit, das aktive Wahlrecht besitzen.