Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 257

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senstreik“ wie zu einer Militärparade ausrücken möchten, die auf große geschichtliche Massenkämpfe denselben Hausrat an Disziplin, Leitung, Umsicht, Vorsicht und Rücksicht anwenden wollen, der sich bei Gewerbegerichtswahlen, Gemeinderatswahlen und Reichstagswahlen so trefflich bewährt hat.

Was soll man zum Beispiel dazu sagen, wenn uns erklärt wird: Wir dürfen nicht die Verantwortung für so schwerwiegende Schritte wie einen politischen Massenstreik in Deutschland auf uns laden, als bis wir mit voller Sicherheit darauf rechnen können, einen Sieg zu erringen. Die Ansicht klingt äußerst altklug, ist aber in Wirklichkeit das gerade Gegenteil politischer Weisheit. Wir sehen davon ab, daß im allgemeinen der ein trauriger Feldherr ist, der nur zur Schlacht ausrückt, wenn er den Sieg in der Tasche hat. Hätten sich Revolutionskämpfer seit jeher durch solche Maximen leiten lassen, dann gäbe es keine Revolutionen und keine Siege in der Geschichte. Aber besonders sündigt eine solche Strategie gegen die geschichtlichen Grundgesetze des proletarischen Klassenkampfes. Das Proletariat kann seine Kräfte nicht sammeln und seine Macht für den endgültigen Sieg nicht anders steigern, als indem es sich im Kampfe erprobt, mitten durch Niederlagen und alle Wechselfälle, die ein Kampf mit sich bringt. Ein ausgefochtener großer Kampf, ganz gleich ob er mit Sieg oder Niederlage endet, leistet in kurzer Zeit an Klassenaufklärung und geschichtlicher Erfahrung mehr als Tausende von Propagandaschriften und Versammlungen in windstiller Zeit. Und diejenigen, die nur mit allen Garantien des Sieges zum Kampf ausrücken wollen, sollten sich die bekannten Worte Marxens im „Achtzehnten Brumaire“ einprägen:

„Proletarische Revolutionen …, wie die des neunzehnten Jahrhunderts, kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eignen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eignen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen:

Hic Rhodus, hic salta!

Hier ist die Rose, hier tanze!“[1]

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[1] Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 8, S. 118.