Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 255

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anstalten. Auch solche Streiks haben freilich ihre große Bedeutung und hätten sie namentlich in Deutschland als eine völlig neue Aktionsform. Es wäre aber ein leerer Wahn, etwa in der Frage des preußischen Wahlrechts durch einen in derselben Weise nach belgischem Muster vorbereiteten, pedantisch durchgeführten Massenstreik etwas ausrichten zu wollen. Auf diesen feierlich angesagten und klug vorbereiteten Massenstreik würden sich die Gegner noch besser vorbereiten als wir, und sie würden uns höchstwahrscheinlich ruhig streiken lassen, solange als es uns gefällt. Es bliebe dann übrig, genau wie in Belgien, den ersten Vorwand zu erhaschen, um den Streik abzubrechen und noch die großartige Disziplin bewundern zu lassen, mit der wir vom Kampfplatze abziehen, ohne etwas ausgerichtet zu haben. Sollte bei uns auf einen derartigen Massenstreik abgezielt werden, dann wäre es entschieden viel besser, gar nichts zu unternehmen, denn auf diese Weise weckt man in den Massen lediglich eitle Hoffnungen und arbeitet einer unvermeidlichen Enttäuschung und Mutlosigkeit vor. Im Kampfe um das preußische Wahlrecht kann nicht irgendein Massenstreik in Frage kommen, der uns nach 10 oder 20 Tagen geduldigen Streikens den Sieg bescheren soll, sondern eine lange Periode erbitterter und scharfer Kämpfe, mit mehreren Massenstreiks von verschiedener Dauer und verschiedenem Charakter, je nach der einzelnen Wendung des Kampfes und der allgemeinen Situation: Demonstrationsstreiks und Kampfstreiks, politische und wirtschaftliche Streiks. In einer solchen Periode gälte es, alle Momente auszunützen, die zur Aufpeitschung der Masse beitragen, alle größeren gewerkschaftlichen Konflikte, Arbeitslosenbewegungen und dergleichen sich zunutze kommen zu lassen, namentlich aber die stummen Sklaven des Staates, die Arbeiter und Angestellten der öffentlichen Dienste, aufzurütteln, um alle Energien der Masse wachzurufen, allen Zorn, der in ihr bebt, in dasselbe Bett des politischen Kampfes zu leiten und den Ungestüm des Druckes aufs höchste zu steigern. Eine derartige Aktion muß von Hause aus stürmischen Charakter haben, soll sie etwas ausrichten, soll sie die ganze wirkliche Macht der Volksmasse in die Waagschale werfen. Und damit ist schon gegeben, daß man zu einer solchen Kampfperiode nicht mit einem fertigen, bis ins kleinste und kleinlichste ausgearbeiteten Feldzugsplan und mit einer fertigen Kostenrechnung in der Tasche ausrücken, daß man dabei nicht die „Gesetzlichkeit“ zur wichtigsten Sorge der Leitung und die Disziplin zur Kampfparole des Kampfes machen kann. Zu einem großen politischen Kampfe, der ein Stück Geschichte machen soll, darf man nicht die Arbeitermassen führen, wie der Tierbändiger wilde Bestien vor-

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