Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 235

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den Deckungsfragen der Widerstand gegen die Lockungen und Pressionen der Schwarzblauen[1] erleichtert werde, so wird, wie sicher anzunehmen ist, eine solche Position bei der großen Mehrheit der Partei durchaus kein Verständnis und keine Gegenliebe finden. Für die schwankende Tugend des Liberalismus ist uns durch zahllose Erfahrungen nachgerade eine zu gesunde Skepsis anerzogen worden, als daß irgendwelche schlauen und feinen Kombinationen zur künstlichen Unterstützung dieser zarten Blume für die sozialdemokratische Taktik ernsthaft in Betracht kommen dürften. Dergleichen spinnwebartige Netze der Politik, die der leiseste Windhauch in Fetzen reißt, überlassen wir am liebsten dem ewig hoffnungsfrohen Freisinn. Die Politik der Partei des Proletariats muß auch im Parlament in jedem Stück – zumal in einer so wichtigen Frage – von großen, klaren und einfachen Linien vorgezeichnet sein.

Es liegt zweifellos im Interesse der Partei, ihren ganzen Einfluß in die Waagschale zu werfen, um die Kosten des Militarismus möglichst von den Schultern des arbeitenden Volkes auf die Besitzenden abzuwälzen. Ebenso zweifellos ist es aber, daß der Schwerpunkt, das Hauptaugenmerk und der eigentliche Zielpunkt unsrer Aktion nimmermehr in die Deckungsfragen, sondern in die Wehrvorlage selbst gelegt werden muß. Nicht die Frage der Kosten, sondern die politische Seite des Militarismus muß immer die Achse unsrer Agitation, also auch unsrer parlamentarischen Aktion bleiben. Ja, es ergibt sich vielmehr angesichts der eventuell angenommenen Besitzsteuern für uns die dringende Pflicht, mit allem Nachdruck die Massen im voraus darauf hinzuweisen, daß auch alle sogenannten Besitzsteuern in letzter Linie aus dem arbeitenden Volke herausgeschunden werden und daß der heutige Militarismus, mit wie ohne die Besitzsteuern, der mächtigste Pfeiler der politischen Knechtung des Proletariats ist.

Um in diesem Sinne die jetzige Militärvorlage zur Aufrüttelung der Massen auszunützen, dazu war und ist es notwendig, die endgültige Erledigung sowohl des Wehrgesetzes wie des Deckungsgesetzes möglichst hinauszuschieben. Sollte die Taktik der Fraktion dahin gezielt haben, die Erledigung der Wehrvorlage umgekehrt auf schleunigstem Wege zu ermöglichen, die Frist ihrer Annahme abzukürzen, dann würden unsre Abgeordneten unter keinen Umständen die Zustimmung der Partei erwarten dürfen, und keine Kombinationen im Zusammenhang mit den Aussichten der Deckungsvorlage wären imstande, diese Taktik zu rechtfertigen.

Allein, die Annahme selbst erscheint kaum glaublich.

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[1] Der Schwarz-Blaue Block oder Schnapsblock war eine Gruppierung im Reichstag, die sich im Sommer 1909 aus Vertretern der Deutschkonservativen Partei des ostelbischen Junkertums und der klerikalen Zentrumspartei gebildet hatte.