Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 226

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Taktik der Fraktion in der Budgetkommission sich in der Chemnitzer „Volksstimme“ darauf beruft, daß der bisherige Verlauf und die Stimmung unsrer Protestversammlungen gegen die Militärvorlage keine Hoffnung rechtfertigen, als ließe sich jetzt im Sommer noch so etwas wie ein Sturm im Lande entfachen, so ist wohl die ernste Frage am Platze, ob eben die Partei nicht selbst ein gut Teil Schuld daran trägt, ob der ganze Zuschnitt unsrer Aktion seit Monaten auch dazu angetan war, das Maximum an Energie und Widerstand in den Massen auszulösen und mobil zu machen.

Der Baseler Kongreß im November[1] bildete zweifellos den Höhepunkt der internationalen sozialistischen Aktion gegen den Militarismus. Der Eindruck des Kongresses auf die gesamte Öffentlichkeit war ein gewaltiger. Es versteht sich von selbst, daß ein solches Ereignis mit aller Kraft ausgenutzt werden mußte, um eine Massenagitation zu entfachen, um die Flamme von Basel in die weitesten Schichten der Arbeiterschaft zu tragen. Der Kongreß sollte dem ausdrücklichen Sinne und Wortlaut seines Manifests[2] nach nicht der Abschluß, sondern der Anfang einer umfassenden antimilitaristischen Agitation, ein Signal zur Entfaltung der äußersten Energie nach dieser Richtung sein. Die französischen Genossen, deren Drängen wir auch das Zustandekommen des Baseler Kongresses verdanken, haben ihre Pflicht und Schuldigkeit auch nach dem Kongreß vollauf getan. Sie haben das Baseler Manifest zur Tagesordnung zahlreicher Versammlungen im ganzen Lande gemacht, sie ließen jede einzelne Organisation ihren Beitritt zu den Baseler Beschlüssen erklären und veröffentlichten fortlaufend die lange Liste dieser Beitritte, sie veranstalteten in Paris wahre Massendemonstrationen. Es war eine Freude, zu sehen, wie systematisch, zähe und begeistert die französische Bruderpartei das Werk von Basel ausnutzte und fortsetzte. Wenn später die Regierungsvorlage mit der dreijährigen Dienstzeit einen so stürmischen Widerstand in Frankreich bis in die Kasernen fand[3], so hat darin sicher die kräftige Auf-

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[1] Der Außerordentliche Internationale Sozialistenkongreß in Basel fand vom 24. bis 25. November 1912 statt.

[2] Das „Manifest der Internationale zur gegenwärtigen Lage“ wurde am 25. November 1912 einstimmig angenommen. Es bekräftigte die Beschlüsse der Sozialistenkongresse von Stuttgart 1907 und Kopenhagen 1910 und forderte das Proletariat auf, alle wirksamen Mittel zur Verhinderung des Krieges einzusetzen und, falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ihn durch den Sturz der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beenden. Die Arbeiterklasse Deutschlands, Frankreichs und Englands wurde aufgefordert, von ihren Regierungen zu verlangen, weder Österreich-Ungarn noch Rußland zu unterstützen, sich jeder Einmischung in den Balkankonflikt (Von Oktober 1912 bis Mai 1913 führten Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro Krieg gegen das türkische Reich, der mit einer Niederlage der Türkei endete. Dieser Krieg war in seiner Haupttendenz ein nationaler Befreiungskrieg gegen die türkische Fremdherrschaft auf dem Balkan. Infolge der Einmischung der imperialistischen Großmächte gefährdete er den Frieden in Europa.) zu enthalten und unbedingte Neutralität zu wahren.

[3] Die französische Regierung unterbreitete am 6. März 1913 eine Gesetzesvorlage zur Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit, wodurch die zahlenmäßige Stärke der Armee in Friedenszeiten um 50 Prozent erhöht wurde. Das Gesetz wurde am 7. Juli 1913 vom Parlament angenommen.