Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 216

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erste Folge war, daß Frankreich zu der schmachvollen Allianz mit Rußland förmlich getrieben wurde und daß England mit Frankreich und Rußland zu jenem dreieckigen Verhältnis gebracht wurde.[1] Eine andre Folge des Dreibunds sind die ungeheueren Rüstungen Deutschlands gegen Frankreich und Rußland und ebenso die Rüstungen Österreichs. Wo war denn auch der Dreibund, als es galt, den Frieden zu erhalten, als eine Dreibundmacht Tripolis überfiel oder als Österreich Bosnien und die Herzegowina annektierte? Es ist eine alte Binsenwahrheit, daß, wo zwei oder drei kapitalistische Staaten die Köpfe zusammenstecken, es sich immer um die Haut eines vierten kapitalistischen Staates handelt. Welche Naivität gehört dazu, von diesem Bündnis zu erwarten, es sollte eine Gewähr sein für den Frieden. Es gibt ein internationales Bündnis, das sich als einzige Gewähr für den Frieden herausgestellt hat. Das einzige Bündnis, auf das zu rechnen ist, das ist das Bündnis aller revolutionären Proletarier der Welt!

Wir haben auch noch mit einer andern Illusion, die Verwirrung anrichten kann, reinen Tisch zu machen, nämlich mit der Illusion von der Abrüstung. Vor einigen Jahren gefiel es dem englischen Minister Grey, eine schöne Rede zu halten, in der er für eine Verständigung über die Rüstungen eintrat.[2] Kaum hatte man dies bei uns gehört, so sagten einige Genossen unsrer Reichstagsfraktion: Bravo, der Mann spricht wie ein Buch. Sie glaubten, auf diese Weise könnten wir von dem Krieg nach rückwärts zu dem Frieden kommen. Als aber Grey so sprach, hatte er schon eine neue Flottenvorlage in der Tasche, und statt der Abrüstungen kamen ungeheuere neue Rüstungen. Auch in Deutschland war es ja ähnlich. In der Budgetkommission redete der Kriegsminister einer Verständigung mit England das Wort.[3] Das gab ein großes Hallo! Ein deutscher Kriegsminister, der wie eine Taube den Ölzweig des Friedens im Schnabel hielt; das war in Wirklichkeit das Vorspiel zu der ungeheueren Militärvorlage. Man muß doch geradezu die Augen schließen, um nicht zu

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[1] Nachdem Frankreich und Rußland sowie England und Frankreich bereits verbündet waren, hatten sich England und Rußland im August 1907 über die Abgrenzung ihrer Interessensphären geeinigt. Damit war die Triple-Entente als imperialistischer Machtblock entstanden.

[2] Am 13. März 1911 hatte der Außenminister Sir Edward Grey anläßlich der Vorlage des neuen Marineetats im englischen Unterhaus über Möglichkeiten der Rüstungseinschränkung, speziell eines Vertrages mit Deutschland gesprochen, da die Rüstungsausgaben ein „Verbluten in Friedenszeiten“ bedeuten würden. Der Marineetat wurde angenommen und brachte gegenüber dem Vorjahr eine Erhöhung der Ausgaben um vier Millionen Pfund Sterling.

[3] Nicht der Kriegsminister, sondern der Staatssekretär im Reichsmarineamt Alfred von Tirpitz hatte am 6. Februar 1913 in der Budgetkommission des Reichstags ausgeführt, daß er eine Verständigung mit England begrüßen würde und daß Verhandlungen möglich seien, sobald England damit beginnen wolle und Vorschläge unterbreite.