Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 215

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den Kriegen der französischen Revolution gab die französische Regierung die Kriegserklärungen ab, und doch waren es Verteidigungskriege, die das Werk der Revolution gegen die Reaktion schützten. Der Krieg auf dem Balkan ist formal genommen ein Angriffskrieg gegen die Türkei. Aber die Machthaber der angreifenden Nationen zerfließen in Beteuerungen über die Verteidigung der heiligsten nationalen Rechte und des christlichen Glaubens gegen die Türken, und auch sie haben recht. Daraus haben wir den Schluß zu ziehen, wir als Proletarier haben uns gegen jeden Krieg zu wenden, gleichviel ob Angriffs- oder Verteidigungskrieg. Wir erkennen in ihm eine Folge des Imperialismus, und wie den Imperialismus als Ganzes, so bekämpfen wir auch jede seiner Teilerscheinungen.

Ein Notbehelf in unsrer Taktik ist, daß sich die deutsche Sozialdemokratie auf den Boden des Dreibunds stellt, das heißt, daß sie die Vereinigung der deutschen, österreichischen und italienischen Diplomatie unterstützt. Es ist tief bedauerlich, daß erst vor einigen Wochen, als die neue Militärvorlage im Reichstage verhandelt wurde[1], Genosse David der Regierung im Auftrage der Fraktion öffentlich erklärte, wir Sozialdemokraten stehen auf dem Boden des Dreibunds, wobei nur der Vorbehalt gemacht wurde, der Dreibund müsse ein braver Knabe sein und für den Frieden wirken[2]. Leider sind wir nicht allein damit geblieben, denn fast am gleichen Tage hat im Wiener Parlament Genosse Renner eine ähnliche Erklärung für die österreichische Sozialdemokratie abgegeben. Vom Dreibund, von einer kapitalistischen Bündnispolitik, die den Krieg vorbereiten soll, erwarten, sie solle für den Frieden wirken, das ist das Beginnen eines Menschen, der vom Distelstrauch Feigen pflücken will. Man muß nur einmal die Resultate des Dreibunds betrachten. Seine

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[1] Ende März 1913 war im Reichstag eine Militär- und Deckungsvorlage eingebracht worden, die die größte Heeresverstärkung seit Bestehen des Deutschen Reiches vorsah. Ein Teil der zusätzlichen finanziellen Mittel sollte durch einen außerordentlichen Wehrbeitrag und durch Besteuerung aller Vermögen über 10 000 Mark aufgebracht, der übrige Teil auf die Schultern der werktätigen Bevölkerung abgewälzt werden. Am 30. Juni wurde die Militär- und Deckungsvorlage im Reichstag angenommen. Die sozialdemokratische Fraktion lehnte die Militärvorlage ab, stimmte aber einer einmaligen Vermögensabgabe [dem sogenannten Wehrbeitrag] und einer Vermögenszuwachssteuer zur Finanzierung der Heeresvorlage zu. Der Abstimmung waren scharfe Auseinandersetzungen in der Fraktion vorausgegangen, die damit endeten, daß mit Verweis auf die Fraktionsdisziplin der Widerstand von 37 Abgeordneten unterdrückt wurde. Diese Zustimmung zu den Gesetzen bedeutete das Aufgeben des Grundsatzes „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!“.

[2] Diese Erklärung hatte Eduard David bereits am 3. Dezember 1912 im Namen der sozialdemokratischen Fraktion abgegeben. Er befürwortete die imperialistische Außenpolitik und erklärte die deutsche Sozialdemokratie zu einer Stütze des Dreibundes, sofern dieser ein „Defensivbündnis“ darstelle.