Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 20

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Privatbrief“ und seine öffentliche Besprechung „eine irreführende Indiskretion“ wäre. Dieser Angriff beruht auf unwahren Behauptungen: 1. Dieser Brief war so wenig ein Privatbrief, daß ihn das Internationale Sozialistische Büro in einer Abschrift an sämtliche ihm angegliederten sozialistischen Parteien der Welt verschickt hat. 2. Die im Briefe dargelegte Auffassung war so wenig ein Privatgeheimnis und ihre öffentliche Besprechung so wenig eine Indiskretion, daß der Briefschreiber selbst eingangs seines Briefes ausdrücklich bemerkt, er habe dieselbe Ansicht „auch am Dienstag in einer Versammlung ausgesprochen“. Weder der Schreiber noch der Empfänger des Briefes dachten also im geringsten daran, daß es sich hier um ein zartes Geheimnis handelt, das kein Licht der Öffentlichkeit verträgt. 3. Der Parteivorstand ist nur ein gewählter Geschäftsführer der Sozialdemokratie. Sein Meinungsaustausch mit dem Internationalen Sozialistischen Büro über die Frage, ob die Partei eine Aktion gegen die Kriegshetze unternehmen soll, ist eine Handlung, die ihrer Natur nach keine Privatangelegenheit der Vorstandsmitglieder ist, in die sich die Partei nicht einzumischen hätte, sondern sie ist eine Handlung im Auftrage, im Namen und im Interesse der Partei. Die Gesamtpartei, die Masse der Genossen also und ihr Organ, die Parteipresse, hat nicht bloß das Recht, sondern auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sich für solche Handlungen zu interessieren und sie kritisch zu prüfen. Die von der Redaktion des Zentralorgans kundgegebene Auffassung hat nur in den Beziehungen bürgerlicher Staatsdiplomaten zu der bürgerlichen Öffentlichkeit Platz, in sozialdemokratischen Kreisen war sie bis jetzt nicht üblich und wird es hoffentlich nicht werden.

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 179 vom 5. August 1911

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