Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 160

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nehmen, wenn auch nur indirekt. Der Wahlkampf ist jetzt schon für große Massen der Frauen wie der Männer der Arbeiterklasse ein gemeinsamer. In allen sozialdemokratischen Wählerversammlungen bilden die Frauen ein zahlreiches, manchmal das überwiegende, stets ein regsames und leidenschaftlich beteiligtes Publikum. In allen Wahlkreisen, wo eine gefestigte sozialdemokratische Organisation besteht, verrichten die Frauen mit die Wahlarbeit. Sie sind es auch, denen ein großes Verdienst an der Verbreitung von Flugblättern, an dem Werben von Abonnenten für die sozialdemokratische Presse zufällt, diese wichtigste Waffe des Wahlkampfes.

Der kapitalistische Staat hat den Frauen des Volkes nicht verwehren können, daß sie alle diese Mühen und Pflichten im politischen Leben auf sich nahmen. Er selbst hat ihnen die Möglichkeit dazu Schritt für Schritt durch die Gewährung des Vereins- und Versammlungsrechts erleichtern und sichern müssen. Nur das letzte politische Recht, das Recht, den Wahlzettel abzugeben, unmittelbar über die Volksvertretung in den gesetzgebenden und verwaltenden Körpern zu entscheiden und diesen Körperschaften als Erwählte anzugehören, nur dieses Recht will der Staat den Frauen nicht zugestehen. Allein hier wie auf allen anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens heißt es: „Wehre den Anfängen!“ Der heutige Staat ist vor den proletarischen Frauen schon zurückgewichen, als er sie in öffentlichen Versammlungen, in politische Vereine zuließ. Allerdings hat er das nicht aus freiem Willen getan, sondern der bitteren Not gehorchend, unter dem unwiderstehlichen Druck der aufstrebenden Arbeiterklasse. Nicht zuletzt war es das stürmische Vorwärtsdrängen der Proletarierinnen selbst, das den preußisch-deutschen Polizeistaat gezwungen hat, das famose „Frauensegment“ in den politischen Vereinsversammlungen[1] preiszugeben und den Frauen die Tore der politischen Organisationen sperrangelweit zu öffnen. Damit ist der Stein noch schneller ins Rollen gekommen. Der unaufhaltsame Fortschritt des proletarischen Klassenkampfes hat die arbeitenden Frauen mitten in den Strudel des politischen Lebens gerissen. Dank der Ausnützung des Vereins- und Versammlungsrechts haben sich die Proletarierinnen den regsten Anteil an dem parlamentarischen Leben, an den Wahlkämpfen errungen. Und nun ist es nur eine unabweisbare Folge, nur das logische Ergebnis der Bewegung, daß heute Millionen proletarischer Frauen selbstbewußt und trotzig rufen: Her mit dem Frauenwahlrecht!

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[1] Im Jahre 1902 hatte der preußische Innenminister eine Verfügung erlassen, der zufolge sich Frauen bei politischen Versammlungen nur in einem besonderen Teil des Versammlungsraumes, dem „Frauensegment“, aufhalten durften.