Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 11

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der Einberufung des Reichstags sicher von richtigem Instinkt diktiert[1]; leider scheint unser Zentralorgan diese Losung – wenn wir nicht irren – nicht weiter zu vertreten.

Endlich kommt in der Stellungnahme des Parteivorstands eine allgemeine Auffassung über den Wahlkampf zum Ausdruck, die uns nicht einwandfrei erscheint. Wir sollen uns ausschließlich auf die Fragen der inneren Politik, auf die Steuern und Sozialgesetzgebung, bei der Agitation beschränken. Aber die Finanzpolitik, die Junkerherrschaft, Stillstand der Sozialreform sind mit dem Militarismus, Marinismus, mit der Kolonialpolitik, mit dem persönlichen Regiment und seiner auswärtigen Politik organisch verknüpft. Jede künstliche Trennung dieser Gebiete kann nur ein lückenhaftes, einseitiges Bild unsrer öffentlichen Zustände geben. Vor allem sollen wir bei der Reichstagswahl sozialistische Aufklärung verbreiten, dies läßt sich aber nicht erreichen, wenn wir ausschließlich die innerpolitischen Zustände Deutschlands in den Kreis unsrer Kritik ziehen, wenn wir nicht die großen internationalen Zusammenhänge, die fortschreitende Kapitalsherrschaft in allen Weltteilen, die augenfällige Anarchie in allen Ecken und Enden und die hervorragende Rolle der Kolonial- und Weltpolitik in diesem Prozeß schildern. Nicht als eine abgekürzte, auf ein paar „zugkräftigste“ Punkte versimpelte politische Fibel, sondern als die sozialistische Weltanschauung in ihrer ganzen umfassenden Fülle und Mannigfaltigkeit müssen wir die Wahlagitation gestalten.

Man spricht so viel von der „glänzenden Situation“, in der wir den Reichstagswahlen entgegengehen, und zugleich werden wir immer wieder gewarnt, diese „Situation“ durch irgendeine unvorsichtige Aktion zu verscherzen; früher war es der Kampf um das preußische Wahlrecht, jetzt soll es die Agitation gegen den Marokkorummel sein. Wir denken, daß jene „glänzende Situation“ nicht eine äußerliche Zufallskonstellation ist, die man durch eine Unüberlegtheit verderben kann, sondern sie ist die Frucht der gesamten historischen Entwicklung innerhalb und außerhalb Deutschlands in den letzten Jahrzehnten, und die Gunst dieser „Situation“ können wir höchstens verscherzen, wenn wir einfach das gesamte Parteileben und alle Aufgaben des Klassenkampfes unter dem Gesichtswinkel des Wahlzettels zu betrachten anfangen.

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 168 vom 24. Juli 1911.

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[1] Siehe Was will die Regierung? Eine Interpellation. In: Vorwärts (Berlin), Nr. 154 vom 5. Juli 1911.