Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 378

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Reichstag in Sklavenstellung zu Füßen des Absolutismus gefunden hat. Jedes Jahr, jede große Vorlage, jeder neue Raubzug gegen die Volksmasse führte seit den 70er Jahren Schritt um Schritt die Nationalliberalen, das Zentrum, den Freisinn ins Lager der junkerlichen Reaktion – et nec locus ubi Troja fuit: Heute ist nichts geblieben, wo einst das bürgerlich-oppositionelle Troja stand!

Und heute wundern sich die braven liberalen Helden baß, sie reiben sich die Augen, wenn ihnen schallende Ohrfeigen vom Absolutismus und Junkertum auf die Wangen klatschen! Sie gedachten selbander mit dem Junkertum den „Rechtsstaat“ gegen das Proletariat schiedlich-friedlich auszubeuten und haben nicht bemerkt, wie ihnen Junkertum und Absolutismus den Rechtsstaat von innen wie Mäuse zernagt haben. Die ahnungslosen Engel haben nicht gewußt, daß ein bürgerliches Parlament ohne bürgerliche Opposition ein Unding, daß eine bürgerliche Volksvertretung, die den Etat stets einstimmig votiert und alle Regierungsvorlagen gehorsamst apportiert, ein politisches Kasperletheater, daß ein bürgerlicher Rechtsstaat ohne bürgerliche Klassenkämpfe eine hohle Nuß, ein ausgeblasenes Ei ist, das jeder Kürassierstiefel zum Zeitvertreib zertreten kann.

Es ist das Fazit der folgerichtigen Entwicklung eines halben Jahrhunderts kapitalistischer Produktion in Deutschland, was in und um Zabern zutage tritt. Die junkerlich-absolutistische Reaktion rechnet nicht mehr mit der bürgerlichen Opposition. Sie rechnet aber noch nicht mit der proletarischen Opposition. Die Wirkungslosigkeit der nurparlamentarischen Widerstände hat sich endgültig erwiesen. Die Wirksamkeit des Massenwiderstandes aber hat die Reaktion noch nicht zu kosten bekommen. Das ist es, was der augenblicklichen Lage in Deutschland mit ihrem unerträglichen Druck das besondere Kennzeichen gibt. Das ist, was den Übermut und die herausfordernde Haltung der Reaktion erklärt.

Und in der Tat steht heute so ziemlich alles auf dem Spiel: Nach der öffentlichen Sicherheit und dem persönlichen Recht, die im Belagerungszustand sind, nach dem internationalen Frieden, der durch die Abenteuerlust und das Säbelfuchteln der herrschenden Soldateska bedroht ist, nach dem Koalitionsrecht, auf das ein Attentat vorbereitet wird, kommt bald die Reihe an das allgemeine Wahlrecht. Nach der Kraftprobe von Zabern wird sich die alte Garde der Feinde des Reichstagswahlrechts nicht mehr zu genieren brauchen.

Aber diese endgültige Ausschaltung der bürgerlichen Opposition hat nur zur Folge, daß immer näher und unerbittlicher die direkte Auseinandersetzung zwischen der herrschenden Reaktion und den Arbeitermas-

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