Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 33

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Marokkohandel sozialdemokratisch beleuchten soll, ist wohl der Zusammenhang der Weltpolitik mit der kapitalistischen Entwicklung. Vor allem muß doch den Volksmassen beigebracht werden, was die heutige Weltpolitik überhaupt sei. Lautet doch auch der Titel des Flugblatts: Weltpolitik, Weltkrieg und Sozialdemokratie. Das erste Wort also müßte die Aufklärung über das Wesen der Weltpolitik sein, und zwar die Auseinandersetzung ihres Zusammenhangs mit der hohen Reife des heutigen Kapitalismus. Dieser Zusammenhang bildet ja das einzige Mittel, unsre Stellung zur Weltpolitik wie die Verbindung der letzteren mit dem Sozialismus historisch zu verankern. Sonst bleibt nur die „ethische“ Entrüstung über das Unmenschliche der Kriege übrig, oder der bornierte Krämerstandpunkt: Uns Arbeitern blüht kein Geschäft aus der Weltpolitik. Das Parteiflugblatt enthält nun über das Wesen der Weltpolitik und ihren Zusammenhang mit dem Kapitalismus, über das A und O unsrer Auffassung nicht ein Wort. Von der Weltpolitik als einer internationalen Erscheinung ist überhaupt nicht die Rede. Das Flugblatt beginnt sofort mit dem Gegensatz zwischen Deutschland und England und stellt das ganze Problem ausschließlich auf diesen Gegensatz. England und Deutschland, Deutschland und England – so geht es durch das ganze Flugblatt, das dadurch wie infolge seiner allgemeinen entsetzlichen Flachheit mehr den Eindruck einer sozialdemokratischen Kannegießerei als einer sozialdemokratischen Analyse großer Probleme macht. Weiter müßte man unseres Erachtens erwarten, daß in dem Flugblatt der Zusammenhang der Weltpolitik im allgemeinen und der Marokkoaffäre im besonderen mit der inneren Entwicklung Deutschlands, mit dem Militarismus, Marinismus, mit der Finanz- und Steuerpolitik, mit dem Stillstand und der Reaktion auf sozialpolitischem Gebiete, mit der Unhaltbarkeit der ganzen inneren Lage wenigstens berührt wäre. Aber nicht ein •einziges Wort finden wir darüber im Flugblatt. Wo Deutschlands Rüstungen erwähnt werden, sind auch diese lediglich vom Standpunkte des Gegensatzes mit England, nämlich als Quelle dieses Gegensatzes erwähnt. Woher aber diese Rüstungen und der Weltmachtsdrang Deutschlands wie aller andern Staaten rührt, bleibt im dunkeln und wird überhaupt nicht berührt.

Wir wissen wohl: Ein Flugblatt ist keine gelehrte Abhandlung, es muß kurz und populär sein. Das kann uns aber unter keinen Umständen davon entbinden, unsre wichtigsten, grundlegendsten Anschauungen über das behandelte Problem, wenn auch mit knappen Worten, darzulegen. In dem besprochenen Flugblatt fehlt jede Erwähnung dieser Anschauungen nicht aus Raummangel, sondern deshalb, weil die ganze Sache auf eine

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