Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 299

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gleichfalls die Textilindustrie ihren Sitz hat und wo der Kampf mitgemacht wurde, ebenso in Konstantynow und Neurokit. Auch die aus Sympathie mit den Textilarbeitern in die Bewegung getretenen Łódźer Arbeiter der Gasanstalten, die jüdischen und deutschen Zeitungssetzer, die Trambahnangestellten haben teilweise Konzessionen zu verzeichnen.

Im allgemeinen ist die Stimmung unter den Arbeitern sehr frisch und kampflustig. Die meisten sind zur Arbeit zurückgekehrt mit der festen Entschlossenheit, bei der nächsten günstigen Gelegenheit den Kampf wieder aufzunehmen; ihn jetzt gleich fortzusetzen war für die Zehntausende einfach physische Unmöglichkeit angesichts der kargen Unterstützung. Die meisten Streikenden konnten ohnehin nur in der Weise durchhalten, daß sie auf die umliegenden Dörfer gingen und bei Verwandten Unterkunft suchten oder bei der Ernte einigen Verdienst fanden. Wenn man bedenkt, daß unter diesen Umständen, nach Jahren größten Elends, ohne jede Aussicht auf feste Unterstützung, Zehntausende wochenlang im Kampf aushielten – die offiziell registrierte Höchstzahl der Ausgesperrten und Streikenden betrug 69 000, wovon mehrere 7 Wochen in Bewegung stehen – und daß jetzt immer noch 20 000, also mit Familien zirka 80 000 Menschen nackten Hunger leiden, ohne sich dem Machtwort des Unternehmertums zu fügen, so kann man dem Mut und der Zähigkeit der Łódźer Arbeiterschaft die Bewunderung nicht versagen. Wenn selbst die teilweise errungenen Lohnerhöhungen nicht wären, so würde der Riesenkampf doch wieder beweisen, daß man es hier nicht mit einem Strohfeuer, nicht mit einem kopflosen Verzweiflungsausbruch zu tun hat, sondern mit zäher Energie und entschlossenem Kampfesmute, mit einer Opferfreudigkeit, die keine Grenzen kennt und die Freund wie Feind Respekt einflößen muß.

Der Textil-Arbeiter (Berlin),

Nr. 35 vom 29. August 1913, S. 277.

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