ist in der Gewitterluft der Revolution zusehends gewachsen und hat in dieser modernen Taufe der traditionellen auswärtigen Politik des Zarenreichs ein modernes Gepräge verliehen.
Das Hauptziel sowohl der traditionellen Politik des Zarismus wie der modernen Appetite der russischen Bourgeoisie sind nun die Dardanellen, die nach dem bekannten Ausspruch Bismarcks den Hausschlüssel zu den russischen Besitzungen am Schwarzen Meer darstellen. Um dieses Zieles willen hat Rußland seit dem 18. Jahrhundert eine Reihe blutiger Kriege mit der Türkei geführt, die Befreiermission auf dem Balkan übernommen und in ihrem Dienste bei Ismail, bei Navarin, bei Sinope, Silistria und Sewastopol, bei Plevna und Schipka enorme Leichenhügel errichtet. Die Verteidigung der slawischen Brüder und Christen von den türkischen Greueln fungierte bei dem russischen Muschik als ebenso zugkräftige Kriegslegende wie jetzt die Verteidigung der deutschen Kultur und Freiheit gegen die russischen Greuel bei der deutschen Sozialdemokratie.
Aber auch die russische Bourgeoisie erwärmte sich viel mehr für die Aussichten auf das Mittelmeer als für die mandschurische und mongolische Kulturmission. Der japanische Krieg wurde von dem liberalen Bürgertum besonders deshalb als ein sinnloses Abenteuer so scharf kritisiert, weil er die russische Politik von ihrer wichtigsten Aufgabe ablenkte – von dem Balkan. Der verunglückte Krieg mit Japan hat noch in anderer Hinsicht nach derselben Richtung gewirkt. Die Ausbreitung der russischen Macht in Ostasien, in Zentralasien, bis in den Tibet und nach Persien hinein, mußte die Wachsamkeit des englischen Imperialismus lebhaft beunruhigen. Besorgt um das enorme indische Reich, mußte England die asiatischen Vorstöße des Zarenreichs mit wachsendem Mißtrauen verfolgen. In der Tat war der englisch-russische Gegensatz in Asien um den Beginn des Jahrhunderts der stärkste weltpolitische Gegensatz der Internationalen Situation, wie er höchstwahrscheinlich auch der Brennpunkt der künftigen imperialistischen Entwicklung nach dem heutigen Weltkrieg sein dürfte.
Die krachende Niederlage Rußlands im Jahre 1904 und der Ausbruch der Revolution änderten die Situation. Auf die sichtbare Schwächung des Zarenreichs folgte eine Entspannung mit England, die im Jahre 1907 sogar zu einer Abmachung über gemeinsame Verspeisung[1] Persiens und freundnachbarliche Beziehungen in Mittelasien führte.[2] Dadurch wurde Ruß-
[1] In der Quelle: Versperrung.
[2] Durch Vertrag zwischen England und Rußland vom 31. August 1907 wurde Persien zwischen beide Staaten aufgeteilt, Afghanistan unter britische Herrschaft gestellt und die chinesischen Hoheitsrechte über Tibet anerkannt. Damit war die 1504 hergestellte Entente cordiale zur Triple-Entente erweitert worden.