Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 468

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Ein Pyrrhussieg

[1]

Die erste Tagung des Rätekongresses ist zu Ende.[2] Überblickt man seine Leistungen, wie sie sich äußerlich in den Debatten und Beschlüssen darbieten, so sind sie ein Sieg der Ebert-Regierung, ein Sieg der Gegenrevolution auf der ganzen Linie. Aussperrung der revolutionären „Straße”, Annullierung der politischen Macht der A.- u. S.-Räte, Einberufung der Nationalversammlung, diktatorische Gewalt der Clique des 6. Dezember[3] – was könnte wohl die Bourgeoisie in der heutigen Situation mehr und Besseres wünschen? „Die Diktatoren wollen von der ihnen zugedachten Diktatur nichts wissen”[4], triumphiert die „Freiheit”, das traurige Organ der politischen Zweideutigkeit.

Gewiß, das selbstgewählte Organ der Arbeiter- und Soldatenräte hat, statt sich der politischen Gewalt für die Sache der Revolution zu bemächtigen, was seine Mission war, sich selbst entleibt und die ihm anvertraute Macht dem Feinde ausgeliefert.

Hier kommt nicht bloß die allgemeine Unzulänglichkeit des ersten unreifen Stadiums der Revolution, sondern auch die besondere Schwierigkeit dieser proletarischen Revolution, die Eigenart ihrer historischen Situation zum Ausdruck.

In allen früheren Revolutionen traten die Kämpfer mit offenem Visier in die Schranken: Klasse gegen Klasse, Programm gegen Programm, Schild gegen Schild. Und hat es in jeder Gegenrevolution Zettelungen, Ränke

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[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Clara Zetkin nennt in ihrer Arbeit „Um Rosa Luxemburgs Stellung zur russischen Revolution” (Hamburg 1922) Rosa Luxemburg als Verfasserin.

[2] Vom 16. bis 21. Dezember 1918 tagte in Berlin der 1. Allgemeine Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, auf dem die Vertreter der SPD dominierten. Mit der Zustimmung, am 19. Januar 1919 die Wahlen zu einer Nationalversammlung durchzuführen, die die weitere Regelung übernehmen sollte, und der Wahl eines Zentralrats der Arbeiter- und Soldatenräte, dem nur das Recht zugebilligt wurde, wichtige Gesetzesvorlagen der Regierung zu beraten, entschied dieser Kongreß in der Grundfrage der Revolution, Rätemacht oder bürgerliche Nationalversammlung, zugunsten des bürgerlichen Staates.

[3] Organisiert vom sozialdemokratischen Berliner Stadtkommandanten Otto Wels, dem Generalkommando des Gardekorps, dem Kriegsministerium und dem Auswärtigen Amt, hatten am 6. Dezember 1918 von reaktionären Offizieren geführte Truppenteile einen Putschversuch unternommen. Sie verhafteten den Vollzugsrat der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte, besetzten die Redaktion der „Roten Fahne, riefen Friedrich Ebert zum Präsidenten aus und schossen in der Chausseestraße in eine unbewaffnete Demonstration, wobei sie 14 Personen töteten und weitere 30 verwundeten.

[4] ,„.. und wir selbst haben immer wieder betont, daß der Kampf für die Rätediktatur schon deshalb gegenstandslos sei, weil die Diktatoren von der ihnen zugedachten Mission nichts wissen wollten.” (Ein heißer Tag. In: Die Freiheit [Berlin], Nr. 65 vom 20. Dezember 1918.)