Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 171

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Die Politik der sozialdemokratischen Minderheit

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Ach, daß du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.

Genossinnen und Genossen! Ihr alle habt Kenntnis von dem Zwiespalt, der im Schoße der Parteiopposition besteht. Gar mancher von euch, der mit den heutigen Zuständen in der offiziellen Partei und mit ihrer Instanzenpolitik nicht einverstanden ist, wird über diesen Zwiespalt zunächst aufs äußerste betrübt sein. „Schon wieder Spaltungen!” werden manche unwillig ausrufen. „Wäre es denn nicht notwendig, daß wenigstens alle diejenigen, die gegen die Fraktionsmehrheit Front machen, fest zusammenstehen und einträchtig vorgehen? Heißt es denn nicht die Opposition schwächen und Wasser auf die Mühle der Mehrheitspolitik treiben, wenn sich auch noch die untereinander zanken und spalten, die das gleiche Ziel verfolgen: die Parteibewegung wieder in die Bahnen einer grundsätzlichen proletarischen Klassenpolitik zu bringen?”

Gewiß, Genossen! Würde es sich bloß um persönliche Streitereien, würde es sich um Lappalien, um irgendwelche untergeordnete Rechthaberei, Unterlassungen oder um sogenanntes „Aus-der-Reihe-Tanzen” einzelner handeln, dann müßte es jeder ernste Mensch einen Frevel, ja ein Verbrechen nennen, wenn um solcher kleinen Dinge willen eine Spaltung im Schoße der Opposition herbeigeführt worden wäre.

Allein, dem ist nicht so, Genossen! Was diese Spaltung herbeigeführt hat, sind grundlegende Fragen der Politik, ist die ganze Auffassung über

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[1] Diese Arbeit ist nicht gezeichnet. Sie sollte im Frühjahr 1916 als Nr. 1 der illegalen Broschürereihe der Spartakusgruppe „Entweder – oder” erscheinen. Aber erst Ernst Meyer hat sie 1925 nach den aufgefundenen Korrekturfahnen in der „Kommunistischen Internationale” veröffentlicht.