Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 291

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-4/seite/291

Der zweite und der dritte Band [des „Kapitals”]

[1]

Mit dem zweiten und dritten Bande seines Werkes hatte Marx dasselbe Schicksal wie mit dem ersten; er hoffte sie bald nach dessen Erscheinen veröffentlichen zu können, aber darüber vergingen lange Jahre, und es ist ihm nicht mehr gelungen, sie druckfertig herzustellen.

Immer neue und immer tiefer dringende Studien, langwierige Krankheiten und endlich der Tod hinderten ihn, das ganze Werk zu vollenden, und so hat Engels die beiden Bände aus den unfertigen Manuskripten zusammengestellt, die sein Freund hinterlassen hatte. Es waren Niederschriften, Entwürfe, Notizen, bald zusammenhängende große Abschnitte, bald kurze hingeworfene Bemerkungen, wie sie ein Forscher zur eigenen Verständigung macht – eine gewaltige geistige Arbeit, die sich mit längeren Unterbrechungen auf die große Zeitspanne von 1861 bis 1878 erstreckte.

Diese Umstände erklären, daß wir in den beiden letzten Bänden des „Kapitals” nicht etwa eine abgeschlossene fertige Lösung aller wichtigsten Probleme der Nationalökonomie zu suchen haben, sondern zum Teil nur die Aufstellung solcher Probleme und dazu Fingerzeige, nach welcher Richtung die Lösung zu suchen wäre. Wie die ganze Weltanschauung Marxens ist sein Hauptwerk keine Bibel mit fertigen, ein für allemal gültigen Wahrheiten letzter Instanz, sondern ein unerschöpflicher Born der Anregung zur weiteren geistigen Arbeit, zum weiteren Forschen und Kämpfen um die Wahrheit.

Dieselben Umstände erklären, daß auch äußerlich, in der literarischen Form, der zweite und dritte Band nicht so vollendet sind, nicht so von Geist blitzen und funkeln wie der erste Band. Doch bieten sie gerade in ihrer um jede Form unbekümmerten, einfachen Gedankenarbeit für man

Nächste Seite »



[1] Diese Arbeit verfaßte Rosa Luxemburg auf Bitten Franz Mehrings für dessen Marx-Biographie.