Der Katastrophe entgegen
[1]Das welthistorische Schicksal vollzieht sich mit unerbittlicher Logik. Das deutsche Proletariat, das verabsäumt hat, dem Sturmwagen des Imperialismus in die Speichen zu fallen, wird von ihm nunmehr zur Niederringung des Sozialismus und der Demokratie in ganz Europa herumgeschleift. Über die Knochen der russischen und ukrainischen, baltischen, finnischen revolutionären Proletarier, über die nationale Existenz der Belgier, Polen, Litauer, Rumänen, über den wirtschaftlichen Ruin Frankreichs stampft der deutsche Arbeiter, bis über die Knie im Blute watend, vorwärts, um überall die Siegesfahne des deutschen Imperialismus aufzupflanzen.
Aber jeder militärische Sieg, den das deutsche Kanonenfutter draußen erringen hilft, bedeutet einen neuen politischen und sozialen Triumph der Reaktion im Innern des Reiches. Mit jedem Sturm auf die Rote Garde in Finnland und in Südrußland steigt die Macht des ostelbischen Junkertums und des alldeutschen Kapitalismus. Mit jeder zerschossenen Stadt in Flandern fällt eine Position der deutschen Demokratie.
Schon jetzt, mitten im Krieg, wird die deutsche Arbeiterklasse, wie sie’s verdient, mit Peitschen und Skorpionen gezüchtigt. Das elende Fiasko der preußischen Wahlreform[2] und die ungeheuerlichste Steuervorlage der
[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Nach Auskunft von Rudolf Lindau, einem Mitbegründer der KPD, ist Rosa Luxemburg die Verfasserin.
[2] Die am 24. November 1917 vom Preußischen Staatsministerium eingebrachte Wahlreformvorlage sah das gleiche Wahlrecht für Männer über 25 Jahre vor. Dieser Entwurf wurde am 2. Mai 1918 im preußischen Abgeordnetenhaus von einer Mehrheit, bestehend aus Konservativen, Freikonservativen, einem Teil der Nationalliberalen und des Zentrums, abgelehnt und statt dessen ein Vorschlag der parlamentarischen Kommission des Abgeordnetenhauses angenommen, wonach das bisherige Dreiklassenwahlrecht in Preußen nur abgeändert wurde und jeder Mann aber 25 Jahre außer seiner Grundstimme noch fünf Zusatzstimmen bekam, die sich u. a. nach seinem Vermögen und Einkommen richteten. Der reaktionäre Charakter des Wahlrechts hatte sich nicht geändert. – Das Dreiklassenwahlsystem war ein ungleiches, indirektes Wahlverfahren, bei dem die Wahlberechtigten jedes Wahlbezirkes nach der Höhe ihrer direkten Steuern in drei Klassen eingeteilt wurden. Jede Klasse wählte für sich in offener Abstimmung die gleiche Anzahl Wahlmänner, die dann erst die Abgeordneten wählen konnten. Dieses undemokratische Wahlrecht galt von 1849 bis 1918 für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus des preußischen Landtages.