Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 419

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-4/seite/419

Der Acheron in Bewegung

[1]

Die hübschen Plänchen einer braven, zahmen, „verfassungsmäßigen” deutschen Revolution, die „Ordnung und Ruhe” wahrt und als ihre erste und dringendste Aufgabe den Schutz des kapitalistischen Privateigentums betrachtet, diese Plänchen gehen zum Teufel: Der Acheron ist in Bewegung gekommen! Während oben, in den Regierungskreisen, ein schiedlich-friedliches Auskommen mit der Bourgeoisie mit allen Mitteln aufrechterhalten wird, erhebt sich unten die Masse des Proletariats und schwingt die drohende Faust: Die Streiks haben begonnen! Es wird gestreikt in Oberschlesien, bei Daimler usw„ es ist nur ein erster Anfang. Die Bewegung wird naturgemäß immer breitere und mächtigere Wellen schlagen.

Wie könnte es auch anders sein. Eine Revolution hat stattgefunden. Arbeiter, Proletarier – im Waffenrock oder im Arbeitskittel – haben sie gemacht. In der Regierung sitzen Sozialisten, Arbeitervertreter.

Und was hat sich für die Masse der Arbeitenden in ihrem täglichen Lohnverhältnis, in ihrem Lebensverhältnis verändert? Gar nichts oder so gut wie gar nichts! Kaum daß hie und da einige kümmerliche Zugeständnisse gemacht worden sind, sucht das Unternehmertum dem Proletariat auch das Geringe wieder zu eskamotieren.

Man vertröstet die Massen auf die kommenden goldenen Früchte, die ihnen von der Nationalversammlung in den Schoß fallen sollen. Durch lange Debatten, durch Gerede und parlamentarische Mehrheitsbeschlüsse sollen wir sanft und „ruhig” in das gelobte Land des Sozialismus hineinschlüpfen.

Der gesunde Klasseninstinkt des Proletariats bäumt sich gegen das

Nächste Seite »



[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Clara Zetkin nennt in ihrer Arbeit „Um Rosa Luxemburgs Stellung zur russischen Revolution” (Hamburg 1922) Rosa Luxemburg als Verfasserin.