Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 28

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III

Zwei verschiedene Richtungen sind bis jetzt in den Reihen der Partei in bezug auf die Frage des Friedens in den Vordergrund getreten. Die eine, durch das Parteivorstandsmitglied Scheidemann, durch mehrere andere Reichstagsabgeordnete und Parteiblätter vertreten, gibt als Echo der Regierung die Losung des „Durchhaltens” aus und bekämpft die Bewegung für den Frieden als unzeitgemäß und gefährlich für die militärischen Interessen des Vaterlandes. Diese Richtung befürwortet die Fortsetzung des Krieges, sorgt also objektiv dafür, daß der Krieg im Sinne der herrschenden Klassen „bis zum Siege, der den Opfern entsprechen wird”, bis zum „gesicherten Frieden” fortgeführt werde. Mit anderen Worten sorgen die Anhänger des „Durchhaltens” dafür, daß die objektive Tendenz des Krieges möglichst nahe an all die imperialistischen Eroberungen heranführt, die von der „Post”[1], von den Rohrbach, Dix[2] und anderen Propheten der Weltherrschaft Deutschlands als das Ziel des Krieges offen ausgesprochen worden sind. Wenn nicht alle diese schönen Träume zur Wirklichkeit und die Bäume des jungen Imperialismus noch nicht in den Himmel wachsen werden, wird es sowenig die Schuld der „Post”-Leute sein wie ihrer Schrittmacher in den Reihen der deutschen Sozialdemokratie. Nicht die feierlichen „Erklärungen” im Parlament „gegen jede Eroberungspolitik” sind offenbar maßgebend für den Ausgang des Krieges, sondern die Befürwortung des „Durchhaltens”. Der Krieg, für dessen Fortsetzung die Scheidemann und Konsorten plädieren, hat seine eigene Logik, deren berufene Träger diejenigen kapitalistisch-agrarischen Elemente sind, die heute in Deutschland im Sattel sitzen, nicht aber die bescheidenen Figuren der sozialdemokratischen Parlamentarier und Redakteure, die ihnen bloß die Steigbügel halten. In dieser Richtung kommt die sozialimperialistische Haltung der Partei zum offensten Ausdruck.

Während auch in Frankreich die Parteiführer – freilich aus einer ganz anderen militärischen Situation heraus – noch an der Parole des „Durchhaltens bis zum Siege” festhalten, macht sich allmählich in allen Ländern immer mehr eine Bewegung für die baldigste Beendigung des Krieges bemerkbar. Was am meisten für all diese Friedensgedanken und -wünsche

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[1] ,,Die Post. Berliner neueste Nachrichten” war die Tageszeitung der Reichs- und freikonservativen Partei.

[2] Paul Rohrbach trat als Publizist vor allem für die Expansionslinie Südosteuropa-Kleinasien ein. Der Nationalliberale Arthur Dix war ebenfalls ein Ideologe der deutschen Expansionspolitik.