Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 29

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charakteristisch, ist die sorgfältige Aufstellung von Friedensgarantien, die bei der Beendigung des Krieges zu fordern sind. Nicht bloß die übereinstimmende Forderung: keine Eroberungen, sondern eine ganze Reihe neuer Postulate tauchen da auf: allgemeine Abrüstung, oder bescheidener, planmäßige Einschränkung des Wettrüstens, Abschaffung der Geheimdiplomatie, Freihandel für alle Nationen in den Kolonien und was der schönen Dinge mehr sind. Bewundernswert ist in all diesen Klauseln zur künftigen Beglückung der Menschheit und zur Verhütung künftiger Kriege der unverwüstliche Optimismus, der, aus der furchtbaren Katastrophe des gegenwärtigen Krieges unversehrt hervorgegangen, noch am Grabe alter Hoffnungen neue – Resolutionen pflanzt. Wenn der Zusammenbruch des 4. August etwas bewiesen hat, so ist es die welthistorische Lehre, daß eine wirksame Garantie des Friedens und ein tatsächlicher Schutzwall gegen Kriege nicht fromme Wünsche, nicht schlau ersonnene Rezepte und utopische Forderungen sind, die man an die herrschenden Klassen richtet, sondern einzig und allein der tatkräftige Wille des Proletariats, seiner Klassenpolitik, seiner Internationalen Solidarität durch alle Stürme des Imperialismus treu zu bleiben. Nicht an Forderungen und Formeln, sondern an der Fähigkeit, hinter diese Forderungen den Willen und die Tat im Geiste des Klassenkampfes und der Internationalität zu setzen, hat es bei den sozialistischen Parteien der ausschlaggebenden Länder, vor allem bei der deutschen, gefehlt. Heute, nach allem, was wir erlebt haben, die Friedensaktion als eine Ausklügelung bester Rezepte gegen den Krieg auffassen hieße das Gefährlichste für den Internationalen Sozialismus feststellen: nämlich daß er trotz aller grausamen Lehren nichts gelernt und nichts vergessen hat.

Auch hierfür finden wir in Deutschland das Musterbeispiel. In der „Neuen Zeit” stellte jüngst der Reichstagsabgeordnete Hoch ein Friedensprogramm auf[1], das er – wie ihm ein Parteiorgan bezeugte – mit großer Herzenswärme befürwortete. In diesem Programm fehlte nichts: weder eine nach Nummern aufgezählte Liste von „Forderungen”, die den künftigen Kriegen auf schmerzlose und sichere Weise vorbeugen sollen, noch eine sehr überzeugende Darlegung, daß der baldige Friede möglich, notwendig und erwünscht sei. Nur eines fehlte: die Erklärung, daß und auf welchen Wegen für diesen Frieden gewirkt, mit Taten, nicht mit „Wünschen” gewirkt werden soll! Der Verfasser gehört nämlich zu der kompakten Fraktionsmehrheit, die für Kriegskredite nicht bloß zweimal stimmte,

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[1] Siehe Gustav Hoch: Unsere Aufgaben nach dem 2. Dezember. In: Die Neue Zelt, 33. Jg. 1914/15, Erster Band, S. 513–520.