Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 282

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III Stockholm

Wenn die erste Vorbedingung für die Wiedererstehung des Internationalen Sozialismus die Abrechnung in allen Ländern mit der Politik des 4. August und die Rückkehr zum aktiven Klassenkampf ist, so ist die Stockholmer Konferenz mit ihrem Drum und Dran das sicherste Mittel, dies zu verhindern. Die Abkehr vom Regierungssozialismus hat zur Voraussetzung einen gründlichen und durchgreifenden Prozeß der Selbstkritik, der Klärung und der Abgrenzung der wirklichen sozialistischen Elemente von der unter sozialistischem Deckmantel betriebenen bürgerlichen Politik. Dieser Prozeß, der bereits in allen Ländern eingesetzt und gewisse Fortschritte gemacht hat, der aber noch im großen und ganzen erst in den Anfängen begriffen ist, wird nun durch die Stockholmer „Beratungen” wieder völlig unterbunden. Hier finden sich unter einer gemeinsamen Parole des Friedens und in gemeinsamer Arbeit an dessen Vorbereitung die heterogensten Elemente und Tendenzen zusammen. Sozialimperialisten der Scheidemannschen Richtung und Opposition der Haase–Ledebourschen Observanz, Kriegshetzer und Anhänger des schrankenlosen U-Boot-Krieges[1] von der deutschen Generalkommission der Gewerkschaften und Vertreter des russischen Arbeiter- und Soldatenrats, sozialistische Minister in bürgerlichen und imperialistischen Regierungen à la Stauning und Albert Thomas und sozialistische Minister im Revolutionsausschuß, Minderheitssozialisten der Ententeländer und Mehrheitssozialisten der Mittelmächte, Spekulationen der deutschen Regierung und lavageborene Losungen der russischen Revolution begegnen sich hier in einem großen Kuddelmuddel, in einer heillosen Verwirrung, wo jede Klärung und Scheidung hoffnungslos in dem Humbug der „Friedensvorbereitung” untergeht. Was durch dieses Durcheinander in Wirklichkeit vorbereitet wird, ist nicht der Friede, sondern die gegenseitige Aussöhnung zwischen den „neutralen” und „kriegführenden” Sozialisten, die gegenseitige Absolution und allgemeine Amnestie für begangene Sünden und die Wiederherstellung der früheren Internationale als eines Toleranzhauses für sozialistischen Verrat. Die Opposition der Haase-Kautskyschen Richtung, die hier wie stets die dauernden grundsätzlichen Interessen des Sozialismus der just vor der Nase liegenden Opportunitätsrücksicht zu opfern bereit ist, jagt jetzt blindlings dem faszinierenden Phantom des „Friedens” nach und ist ihm zuliebe bereit. „an jeder Konferenz teilzunehmen”,

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[1] Deutschland eröffnete am 1. Februar 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, durch den alle Schiffe in einem festgelegten Seegebiet um England und Frankreich durch warnungslose Torpe-dierungen bedroht wurden.