Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 283

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mit dem Teufel und dem Beelzebub gemeinsam „Frieden” zu machen, versteht sich wohl, unter wortreichen „Verwahrungen” und „Vorbehalten” gegen den Regierungssozialismus, die aufs Haar soviel Bedeutung haben wie die berühmten „Vorbehalte” prinzipiellen Charakters bei gleichzeitiger Abstimmung für das Budget oder die Kriegskredite. Die Tatsache an sich, daß Regierungssozialisten aller Länder, d. h. Leute, die in Wirklichkeit den Krieg machen, zur gemeinsamen „Friedensaktion” zugelassen werden, verwandelt diese ganze Aktion in eine würdige Fortsetzung der in der Kriegspolitik des 4. August seit drei Jahren betriebenen Prostitution des Sozialismus. Das unmittelbare Ergebnis des Stockholmer Humbugs aber ist eine neue verhängnisvolle Irreführung der Massen, die, statt daß sie immer wieder die eigene revolutionäre Aktion in allen Ländern als den einzigen wirklichen Friedensfaktor begreifen lernen, umgekehrt mit Hoffen und Harren auf das Geschwätz ihrer sogenannten Führer in Stockholm, auf die „Denkschriften”, „Verhandlungen” und „Verständigungen” von ein paar Dutzend Wichtigtuern abgespeist werden, die nichts in Wirklichkeit vertreten als das heulende Elend ihres politischen Bankerotts in den eigenen Ländern. So werden die Arbeitermassen Europas wieder einmal von dem Gefühl der eigenen Verantwortlichkeit und von der eigenen Initiative abgelenkt und in Passivität eingelullt.

Doch damit nicht genug. Inhaltlich hat sich die Stockholmer Friedensfarce – und hier liegt ihr Schwerpunkt – zu einer freiwilligen Vorarbeit für den künftigen Diplomatenkongreß der Regierungen gestaltet. Sozialistische Friedensarbeit wird hier in Unterhandlungen über die künftige Staatenkarte Europas, über die Frage der Annexionen, Kriegsentschädigungen usw. bestehen. Statt die Aufgaben des Klassenkampfes, die Mittel und Wege zur Herbeiführung des Friedens durch eigene Aktion des Proletariats zu erörtern, statt ein Programm für die Gestaltung der sozialen und politischen Verhältnisse durch das revolutionäre Proletariat im Sinne des Sozialismus zu schaffen, wird hier von Vertretern des Proletariats Handlangerarbeit für die Bourgeoisie geleistet werden. Sozialisten schicken sich hier an, im Schweiße des Angesichts die Verständigung zwischen kapitalistischen Regierungen vorzubereiten, in voller Blindheit für die Tatsache, daß jeder „Verständigungsfriede” der heutigen Regierungen ein Friede und eine Verständigung gegen das Proletariat und auf seine Kosten, ein Handel sein muß, bei dem seine Haut zu Markte getragen wird.

Was bei der Stockholmer Mache äußerlich den Schein einer sozialistischen Politik hervorrufen hilft und deshalb zur Irreführung der Massen

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