Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 366

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Fragment über Krieg, nationale Frage und Revolution

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Während so der Klassenhaß gegen das Proletariat und seine unmittelbar drohende soziale Revolution für alles Tun und Lassen der bürgerlichen Klassen, für ihr Friedensprogramm und ihre künftige Politik absolut richtunggebend geworden ist – was tut das Internationale Proletariat? Völlig blind vor den Lehren der russischen Revolution, vergessend auf das Abc des Sozialismus, jagt es demselben Friedensprogramm der Bourgeoisie[2] nach, erhebt es zum eigenen Programm! Hoch Wilson und der Völkerbund! Hoch nationale Selbstbestimmung und Abrüstung! Das ist jetzt das Banner, unter dem sich plötzlich die Sozialisten aller Länder vereinigen – zusammen mit den imperialistischen Regierungen der Entente, mit reaktionärsten Parteien, regierungssozialistischen Strebern, „grundsatztreuen” oppositionellen Sumpfsozialisten, bürgerlichen Pazifisten, kleinbürgerlichen Utopisten, nationalistischen Emporkömmlingsstaaten, bankerotten deutschen Imperialisten, dem Papst, den finnländischen Henkern des revolutionären Proletariats, den ukrainischen Schürzenstipendiaten des deutschen Militarismus.

In Polen die Daszynskis im trauten Bunde mit den galizischen Schlachtschitzen und der Warschauer Großbourgeoisie, in Deutsch-Österreich die Adler, Renner, Otto Bauer und Julius Deutsch Arm in Arm mit Christlich-Sozialen, Agrariern und Deutschnationalen, in Böhmen die Soukup und Némec in geschlossener Phalanx mit allen bürgerlichen Parteien –

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[1] Redaktionelle Überschrift. – Wiedergegeben nach der Fotokopie des Originals.

[2] Der Präsident der USA, Thomas Woodrow Wilson, hatte am 8. Januar 1918 in einer Grundsatzrede vor dem amerikanischen Kongreß ein 14-Punkte-Programm vorgelegt, in dem er u. a. Rüstungsbeschränkungen, Ausgleich aller kolonialen Ansprüche, Wiederherstellung der Unabhängigkeit Belgiens, Räumung Serbiens, Montenegros und Rumäniens, Selbständigkeit der unter türkischer Herrschaft stehenden Nationalitäten sowie die Bildung eines Völkerbundes forderte.