Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 24

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schen Organisationen beansprucht wird. Marx, Engels und Lassalle, Liebknecht, Bebel und Singer schulten das deutsche Proletariat, damit Hindenburg es führen kann. Und je höher die Schulung, die Organisation, die berühmte Disziplin, der Ausbau der Gewerkschaften und der Arbeiterpresse in Deutschland als in Frankreich, um so wirksamer die Kriegshilfe der deutschen Sozialdemokratie im Vergleich mit derjenigen der französischen. Mitsamt ihren naiven Ministern sind die Sozialisten Frankreichs im ungewohnten Handwerk des Nationalismus und der Kriegführung wahre Stümper gegen die Dienste, die die deutsche Sozialdemokratie und die deutschen Gewerkschaften dem vaterländischen Imperialismus leisten.

II

Die offizielle Theorie, die den Marxismus für den jeweiligen Hausbedarf der Parteiinstanzen zur Rechtfertigung ihrer Tagesgeschäfte nach Belieben mißbraucht und deren Organ die „Neue Zeit” ist, versucht die kleine Unstimmigkeit zwischen der heutigen Funktion der Arbeiterpartei und ihren gestrigen Worten dadurch zu erklären, daß der Internationale Sozialismus sich zwar viel mit der Frage beschäftigt habe, was gegen den Ausbruch des Krieges, nicht aber damit, was nach seinem Ausbruche zu unternehmen sei.[1] Als gefälliges Mädchen für alle versichert uns diese Theorie, daß zwischen der heutigen Praxis des Sozialismus und seiner Vergangenheit die schönste Harmonie obwalte, daß „keine der sozialistischen Parteien sich etwas vorzuwerfen hätte, was ihre Zugehörigkeit zur Internationale in Frage stellen würde”. Gleichzeitig hat aber diese schmiegsame und biegsame Theorie auch schon eine ausreichende Erklärung in der Tasche für den Widerspruch zwischen der heutigen Position der Internationalen So zialdemokratie und ihrer Vergangenheit, ein Widerspruch, der nun doch das blödeste Auge schlägt. Die Internationale habe nur die Frage der Verhütung des Krieges ventiliert. Nun aber „war der Krieg da”, wie die Formel heißt, und nun stellte es sich heraus, daß nach Ausbruch des Krieges ganz andere Verhaltensregeln für die Sozialisten gelten als vor demselben. Sobald der Krieg da sei, gelte für jedes Proletariat nur noch die Frage, ob Sieg oder Niederlage. Oder wie ein anderer „Austromarxist”, Fr. Adler, mehr naturwissenschaftlich-philosophisch erklärt: die Nation müsse wie jeder Organismus vor allem ihr Dasein behaupten. Auf gut

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[1] Siehe den Artikel Kautskys in der .,Neuen Zeit” vom 2. Oktober v. J. [K. Kautsky: Die Sozialdemokratie im Kriege. In: Die Neue Zeit, 33. Jg. 1914/15, Erster Band, S. 1–8.] – [Fußnote im Original]