Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 523

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Das Versagen der Führer

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Die Dinge in Berlin haben eine Wendung genommen, die die schärfste Kritik und die ernsteste Überlegung der Arbeitermassen herausfordert.

Wir haben im Laufe der letzten Tage mehrmals offen und deutlich ausgesprochen, daß die Führung der Berliner Massenbewegung sehr viel an Entschlossenheit, Tatkraft und revolutionärem Elan vermissen ließ. Wir haben klar heraus gesagt, daß die Führung hinter der Reife und der Kampfbereitschaft der Massen weit zurücksteht. Wir haben sowohl innerhalb dieser führenden Körperschaften durch Initiative und Überredung wie außerhalb – in der „Roten Fahne” – durch Kritik alles getan, um die Bewegung vorwärtszutreiben, um die revolutionären Obleute der Großbetriebe zum tatkräftigen Auftreten anzuspornen.

Doch alle Anstrengungen und Versuche sind schließlich an dem zaghaften und schwankenden Verhalten jener Körperschaft gescheitert. Nachdem man vier Tage lang die prächtigste Stimmung und Kampfenergie der Massen durch völlige Direktionslosigkeit hatte verzetteln und verpuffen lassen, nachdem man durch zweimalige Anknüpfung der Unterhandlungen mit der Regierung Ebert–Scheidemann die Aussichten des revolutionären Kampfes aufs schwerste erschüttert und die Position der Regierung aufs wirksamste gestärkt hatte, entschlossen sich die revolutionären Obleute endlich in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag zum Abbruch der Unterhandlungen und zur Aufnahme des Kampfes auf der ganzen Linie. Die Parole Generalstreik wurde herausgegeben und der Ruf: Zu den Waffen!

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[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Clara Zetkin nennt in ihrer Arbeit „Um Rosa Luxemburgs Stellung zur russischen Revolution” (Hamburg 1922) Rosa Luxemburg als Verfasserin.