Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 524

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Das war aber auch die einzige Leistung, zu der sich die revolutionären Obleute aufgerafft haben.

Es versteht sich von selbst, daß, wenn man die Parole zum Generalstreik und zur Bewaffnung in die Massen wirft, man alles tun muß, um die energischste Durchführung der Parole zu sichern. Nichts dergleichen ist von den Obleuten unternommen worden! Sie beruhigten sich bei der nackten Parole und – beschlossen gleich am Donnerstag abend, zum dritten Male in Unterhandlungen mit Ebert–Scheidemann einzutreten!

Diesmal gab die Einigungsbewegung[1], die unter den Arbeitern der Schwartzkopff-Werke und einiger anderer Großbetriebe in Fluß gekommen ist, den erwünschten Vorwand, um den eben in aller Form eingeleiteten Kampf wieder abzubrechen. Die Arbeiterschaft der Sc.hwartzkopff-Werke, der AEG, der Knorr-Bremse gehört zu den Kerntruppen des Berliner revolutionären Proletariats, und ihre besten Absichten unterliegen gar keinem Zweifel. Die Arbeiterschaft ist aber in diesem Falle selbst das Objekt einer Mache, deren Drahtzieher die Haase-Leute: Oskar Cohn, Dittmann und andere, sind. Indem diese Leute in demagogischer Weise mit den beliebten Schlagworten „Einigkeit”, „kein Blutvergießen” arbeiten, suchen sie die Kampfenergie der Massen zu lähmen, Verwirrung zu säen und die entscheidende Revolutionskrise in einen faulen Kompromiß mit der Gegenrevolution aufzulösen.

Es ist für jeden, der nicht getäuscht werden will, klar, daß dieser Einigungsrummel, den die USP inszeniert hat, der denkbar größte Dienst ist, den man in der gegenwärtigen Situation den Ebert–Scheidemann erweisen konnte. Selbst in der Luft hängend, vor der waghalsigen Kraftprobe mit der Arbeiterschaft zitternd, von den schwankenden Truppen nur noch halb und widerwillig gestützt, von der Bourgeoisie mißtrauisch angeknurrt, erlebten die Verräter des Sozialismus in den letzten Tagen die schwersten Stunden ihrer kurzen Regierungsherrlich [keit]. Das wuchtige Auftreten der Massen auf der Straße, die Wendung, die die eigene brutale Provokation der Regierung in der Eichhorn-Sache[2] genommen hat, war diesen Abenteurern über den Kopf gewachsen. Schon gaben sie sich halb verloren, das zeigte deutlich die ganze Unentschlossenheit, die tastende Unsicherheit ihrer gegenrevolutionären Maßnahmen in den letzten Tagen.

Da kamen ihnen als rettende Frist die Unterhandlungen und schließlich die Einigungsbewegung. Die USP erwies sich hier wieder als der rettende Engel der Gegenrevolution. Haase–Dittmann sind von der Regierung

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[1] In den Betrieben und bei den Soldaten hatten die Losungen „Einigung”, „Parität” und „Kein Bruderkampf”, mit denen Sozialdemokraten und Unabhängige Sozialdemokraten auftraten, großen Widerhall gefunden.

[2] Am 4. Januar 1919 war der Berliner Polizeipräsident Emil Eichhorn, der dem linken Flügel der USPD angehörte, von der sozialdemokratischen Regierung als abgesetzt erklärt worden. Damit sollten die revolutionären Arbeiter und Soldaten Berlins zu unvorbereiteten bewaffneten Kämpfen provoziert werden. Die revolutionären Obleute, die Berliner Leitung der USPD und die Zentrale der KPD riefen gemeinsam die Werktätigen und Soldaten zu Aktionen für die Rücknahme der Absetzung Emil Eichhorns, für die Entwaffnung der Konterrevolution und die Bewaffnung der Arbeiter auf. Hunderttausende demonstrierten am 5. Januar in Berlin, formierten sich in der Siegesallee und marschierten zum Polizeipräsidium.