Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 455

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Außerordentliche Verbandsgeneralversammlung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von Groß-Berlin am 15. Dezember 1918

[1]

I Korreferat zur Politik der USPD

Nach einem Zeitungsbericht

Genosse Haase hat soeben eine Anklagerede gegen die Politik gehalten, die er selbst gemacht hat, und eine Verteidigungsrede für die Politik der Ebert-Scheidemann.[2] Er hat gesagt, daß Liebknecht bereit gewesen sei, in die Regierung einzutreten, aber er hat vergessen, die Bedingung zu nennen, die Liebknecht aufgestellt hatte. Diese Bedingung war, daß die neue Regierung prinzipielle sozialistische Politik mache. Unter dieser Bedingung sind wir noch heute bereit, in die Regierung einzutreten. Was die Vorgänge bei Schwartzkopff betrifft, so wird Ihnen ein Genosse berichten, daß jene Einigkeitsstimmung im Grunde eine Schiebung ist.[3]

Fünf Wochen sind seit dem 9. November ins Land gegangen. Seitdem hat sich das Bild völlig geändert. Die Reaktion ist jetzt viel stärker als am ersten Tage. Und Haase sagt uns: Seht, wie herrlich weit wir es gebracht haben. Seine Pflicht wäre es gewesen, uns den Fortschritt der Gegenrevolution zu zeigen, die von der Regierung begünstigt worden ist, in der Haase sitzt. Diese Regierung hat, statt die Konterrevolution zu verhüten, die Bourgeoisie und die Reaktion gestärkt. Eine für sie günstigere Regierung kann sich die Bourgeoisie wirklich nicht wünschen, sie ist das Feigenblatt für ihre konterrevolutionären Ziele.

Nicht einmal die elementarsten Maßnahmen hat die gegenwärtige Re-

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[1] Redaktionelle Überschrift.

[2] Am 10. November 1918 war der Rat der Volksbeauftragten, in den neben Friedrich Ebert, Otto Landsberg und Philipp Scheidemann von der SPD, Emil Barth, Wilhelm Dittmann und Hugo Haase von der USPD eingetreten waren, von der Vollversammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte als provisorische Regierung bestätigt worden. – Hugo Haase hatte in seinem Referat versucht, die Beteiligung der USPD an der Regierung und die Politik des Rates der Volksbeauftragten zu rechtfertigen sowie die Notwendigkeit der Wahlen zur Nationalversammlung zu begründen.

[3] In den Betrieben und bei den Soldaten hatten die Losungen „Einigung”, „Parität” und „Kein Bruderkampf”, mit denen Sozialdemokraten und Unabhängige Sozialdemokraten auftraten, großen Widerhall gefunden.