Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 228

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Friede und Schiedsverträge

[1]

Als vor Jahr und Tag auf Konferenzen neutraler Sozialisten[2] der Abschluß Internationaler Schiedsverträge als eine Hauptaufgabe des Friedensschlusses bezeichnet wurde, erhoben wir alsbald Einspruch.

Nicht als ob wir bezweifelten, daß Schiedsverträge möglich sind, sie bestehen ja schon in Menge. Auch nicht, weil wir ihnen im kapitalistischen Zeitalter jeden Nutzen für die Beilegung Internationaler Streitigkeiten absprächen, das hieße die Tatsachen verleugnen.

Aber sie waren und sind Instrumente kapitalistischer Regierungen. Die Fälle, in denen sie sich bewährten, hätten auch ohne sie nicht zum Kriege geführt; die Regelung, zu der sie verhalfen, war eine Angelegenheit der herrschenden Klassen. Und solange die imperialistischen Machthaber das Heft in den Händen halten, kann es nicht anders sein.

Daß wir solche Verträge, wenn sie praktisch an uns herantreten, ablehnen müßten, wäre eine törichte Meinung. Aber nicht nur töricht, sondern verhängnisvoll ist der Wahn, als seien sie Heilmittel für die Internationalen Gebresten, unter denen das Proletariat seufzt. Nicht nur töricht, sondern verhängnisvoll ist es, den Kampf gegen den Krieg durch einen Kampf um Schiedsgerichte zu ersetzen oder dem Kampf um Schiedsgerichte im Kampf gegen den Krieg auch nur eine nennenswerte Rolle einzuräumen.

Für das klassenbewußte Proletariat kommt es darauf an, die Mittel zu erkennen und zu propagieren, die den jetzigen Krieg im sozialistischen Geist beenden, die Beziehungen der Völker im Interesse des Internationalen Proletariats regeln und den künftigen Frieden sichern können.

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[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. In: Die Rote Fahne (Berlin), Nr. 9 vom 11. Januar 1925, Militärische Beilage Nr. 4, wird Rosa Luxemburg als Verfasserin genannt.

[2] Eine Konferenz der sozialdemokratischen Parteien neutraler Länder am 17. und 18. Januar 1915 in Kopenhagen, an der Vertreter aus Schweden, Norwegen, Holland und Dänemark teilnahmen, appellierte an die neutralen Regierungen, zwischen den kriegführenden Ländern zu vermitteln, um einen baldigen und dauerhaften Frieden zu erreichen. Es wurde dabei an die Forderungen des Internationalen Sozialistenkongresses in Kopenhagen 1910 erinnert, die u. a. die Einrichtung obligatorischer internationaler Schiedsgerichte einschlossen.