Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 15

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Parteidisziplin

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Die Reichstagssitzung vom 2. Dezember hat wieder die Frage der Parteidisziplin in den Vordergrund gerückt, und die Parteigenossen müssen sich naturgemäß mit dieser Frage ernsthaft beschäftigen. Dabei ist es jedoch, um zu richtigen Schlüssen zu gelangen, notwendig, möglichst der Sache auf den Grund zu gehen und nicht an ihrer Oberfläche zu haften.

Jede Körperschaft, jede größere Gemeinschaft, die auf der Mitwirkung mehrerer Einzelmenschen beruht, bedarf der Disziplin, d. h. der Unterordnung des einzelnen, ohne die ein Zusammenwirken unmöglich ist. Ohne Disziplin wäre kein Fabrikbetrieb, kein Schulunterricht, kein Militär und kein Staat möglich. Ist es dieselbe Disziplin, die der Sozialdemokratischen Partei zugrunde liegt? Durchaus nicht! Zwischen unserer sozialdemokratischen Disziplin und der Fabrik- oder Militärdisziplin besteht ein direkter Gegensatz im Wesen und in den Wurzeln. Die militärische wie die kapitalistisch-industrielle Disziplin beruhen auf dem äußeren Zwang, die sozialdemokratische auf freiwilliger Unterordnung; die ersteren dienen der Despotie einer Minderheit über die Volksmasse, die letztere dient der Demokratie, d. h. dem Willen der aufgeklärten Volksmasse gegenüber dem einzelnen. Niemand wird gefragt, ob er Bürger seines Staates sein will, jeder muß Steuern zahlen, im Militär dienen, ob er es will oder nicht. In die Sozialdemokratische Partei tritt man freiwillig ein, indem man sich freiwillig dem Massenwillen dieser Partei fügt, um diesen Willen auf sozialem und politischem Gebiete zur Tat zu machen. Was dieser Wille aber jederzeit bedeutet, darüber gibt das Programm der

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[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. In: Spartakus im Kriege. Die Illegalen Flugblätter des Spartakusbundes im Kriege, gesammelt und eingeleitet von Ernst Meyer, Berlin 1927, wird Rosa Luxemburg als Verfasserin genannt.