Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 458

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Wir stehen jetzt vor einem Augenblick von weltgeschichtlicher Bedeutung, kurz vor der Verhandlung des Zentralrats.[1] Beinahe ist die Revolution schon an den Rand des Abgrundes gebracht, mit eiserner Hand muß das Proletariat sie zurückreißen. Die Regierung hat alles getan, um im voraus dem Zentralrat der A.- und S.-Räte die Macht zu entwinden, sie hat die Zivilbevölkerung und das Proletariat entwaffnet, sie hat Maßnahmen getroffen, die gegen die Revolution sind und die Massen verwirren. Dagegen gilt es mit Unerbittlichkeit zu kämpfen. (Lebhafter Beifall.)

II Schlußrede

[2]

Nach einem Zeitungsbericht

Unsere erste Pflicht ist es, jede Brücke zu der gegenwärtigen Regierung abzubrechen. Das ist unsere Forderung, und damit sind wir im Recht. Da hat sich nun vorhin der Genosse Barth hingestellt und seine revolutionären Heldentaten aufgezählt. Wenn der Genosse Barth wirklich ein so großer Revolutionär ist, dann hat er sich in den letzten fünf Wochen sehr schnell abgewirtschaftet. Jetzt nimmt der Genosse Barth an allen konterrevolutionären Aktionen der Regierung Ebert teil. Warum ist er in diese Regierung eingetreten? Warum ist er nicht in den Reihen des Proletariats geblieben, dort, wo der Platz eines wahren Revolutionärs ist? Nein, Genossen, einzelne Personen machen die Revolution nicht; wenn die Revolution nicht von den Massen selbst ausgeht, so ist sie keinen Schuß Pulver wert. Ströbel hat ausgeführt, daß die Vertreter der USP zur revolutionären Mitarbeit sich an der Regierung beteiligen müssen. Nein, Genossen, nicht darauf kommt es für uns Sozialisten an, zu regieren, sondern den Kapitalismus zu stürzen. Noch ist er nicht erschüttert, noch besteht er; da gilt es nicht, zu zeigen, daß wir eine regierungsfähige Partei sein können, und daß wir jetzt, in dieser Regierung, als Sozialisten nicht regieren können, das ist bereits bewiesen. Man hat uns gesagt, daß wir lange warten müßten, bis die Mehrheit des Proletariats sich zu unseren revolutionären Anschauungen durchgerungen habe. Diejenigen, die dieses Argument geltend machen, verkennen ganz und gar das lebendige und

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[1] Vom 16. bis 21. Dezember 1918 tagte in Berlin der 1. Allgemeine Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, auf dem die Vertreter der SPD dominierten. Mit der Zustimmung, am 19. Januar 1919 die Wahlen zu einer Nationalversammlung durchzuführen, die die weitere Regelung übernehmen sollte, und der Wahl eines Zentralrats der Arbeiter- und Soldatenräte, dem nur das Recht zugebilligt wurde, wichtige Gesetzesvorlagen der Regierung zu beraten, entschied dieser Kongreß in der Grundfrage der Revolution, Rätemacht oder bürgerliche Nationalversammlung, zugunsten des bürgerlichen Staates.

[2] Redaktionelle Überschrift.