Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 198

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Gegen den „Vorwärts”-Raub

[1]

Rede am 25. Juni 1916 in der Generalversammlung des Verbandes sozialdemokratischer Wahlvereine Berlins und Umgegend

Nach einem Zeitungsbericht

Es genügt nicht, daß wir Resolutionen gegen den Parteivorstand annehmen. Wir müssen prüfen, wie es kommen konnte, daß er seine Politik gegen den Willen der großen Mehrheit der Berliner Parteigenossen[2] führt. Daß er es kann, dazu hat auch die Redaktion beigetragen. Es war eine beschämende Kapitulation der Redaktion, daß sie sich der Bedingung unterwarf, welche das Oberkommando stellte, um das Weitererscheinen Ende September 1914 zu gestatten.[3] Damals hätten wir den uns hingeworfenen Handschuh aufnehmen und den Kampf durchführen müssen. Mit der Politik der Langmut und Geduld ist nichts auszurichten. Zum Glück werden die Kreise immer größer, denen der „Vorwärts” nicht scharf genug ist. Der „Vorwärts” hat das Auftreten der Arbeitsgemeinschaft[4] viel zu günstig beurteilt. Über ihr Auftreten herrscht in den Kreisen der politisch geschulten Arbeiter nicht das Entzücken, dem der „Vorwärts” Ausdruck gab. Die Arbeitsgemeinschaft tritt nicht scharf genug auf und geht nicht weit genug. Der „Vorwärts” hat nicht konsequent gegen die rechte Seite der Partei Front gemacht. Im Kampf gegen den Parteivorstand hilft die Berufung auf das Statut nichts. Da haben Sie mit einer Macht zu tun, die Recht und Gerechtigkeit unter die Füße tritt. Der Parteivorstand ist nichts als ein Organ der Bourgeoisie im Rahmen der Sozialdemokratie.

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[1] Redaktionelle Überschrift.

[2] Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hatte unter Mißachtung der Preßkommission und der Berliner Parteiorganisation mit Wirkung vom 1. April 1916 Hermann Müller in die Redaktion des „Vorwärts” entsandt und die Zeitung unter Vorzensur gestellt.

[3] Am 27. September 1914 war der „Vorwärts” vom Oberkommando in den Marken auf unbestimmte Zeit verboten worden, weil er in einem Artikel angedeutet hatte, daß die deutschen Arbeiter wie dle Arbeiter der anderen Lander zum Kriege gezwungen worden seien. Nachdem sich der sozialdemokratische Parteivorstand schriftlich verpflichtet hatte, die Zeitung während des Krieges im Sinne des „Burgfriedens” zu redigieren, wurde das Verbot am 30. September aufgehoben.

[4] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. In: Spartakus im Kriege. Die Illegalen Flugblätter des Spartakusbundes im Kriege, gesammelt und eingeleitet von Ernst Meyer, Berlin 1927, wird Rosa Luxemburg als Verfasserin genannt.