Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 472

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Die Wahlen zur Nationalversammlung

[1]

Nach dem glänzenden „Sieg” auf dem Rätekongreß[2] glauben die Ebert-Leute, ihr Hauptstreich gegen die Macht der A.- und S.-Räte, gegen die proletarische Revolution und den Sozialismus sei gelungen.

Sie werden sich irren. Es gilt, diesen Plan der Gegenrevolution zunichte zu machen, die Aktion der kapitalistischen Schutztruppe durch die revolutionäre Aktion der Massen zu durchkreuzen.

Wie wir das infame preußische Dreiklassenwahlrecht[3] ausnützten, um im Dreiklassenparlament gegen das Dreiklassenparlament zu kämpfen, so werden wir die Wahlen zur Nationalversammlung zum Kampfe gegen die Nationalversammlung verwerten.

Hier freilich ist die Analogie zu Ende. Die Teilnahme an der Nationalversammlung kann heute für wirkliche Verfechter der Revolution und des Sozialismus nichts gemein haben mit dem herkömmlichen Schema, mit der althergebrachten „Ausnützung des Parlaments” zu sogenannten „positiven Errungenschaften”. Nicht im alten Trott des Parlamentarismus, nicht, um an den Gesetzesvorlagen kleine Besserungsflicken und Schönheitspflästerchen anzubringen, auch nicht, um „Kräfte zu messen”, Heerschau der Anhänger zu halten oder wie all die bekannten Redensarten aus der Zeit der bürgerlich-parlamentarischen Tretmühle und aus dem Wortschatz der Haase und Genossen heißen.

Jetzt stehen wir mitten in der Revolution, und die Nationalversammlung ist eine gegenrevolutionäre Festung, die gegen das revolutionäre Proletariat aufgerichtet wird. Es gilt also, diese Festung zu berennen und zu

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[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet.

[2] Vom 16. bis 21. Dezember 1918 tagte in Berlin der 1. Allgemeine Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, auf dem die Vertreter der SPD dominierten. Mit der Zustimmung, am 19. Januar 1919 die Wahlen zu einer Nationalversammlung durchzuführen, die die weitere Regelung übernehmen sollte, und der Wahl eines Zentralrats der Arbeiter- und Soldatenräte, dem nur das Recht zugebilligt wurde, wichtige Gesetzesvorlagen der Regierung zu beraten, entschied dieser Kongreß in der Grundfrage der Revolution, Rätemacht oder bürgerliche Nationalversammlung, zugunsten des bürgerlichen Staates.

[3] Das Dreiklassenwahlsystem war ein ungleiches, indirektes Wahlverfahren, bei dem die Wahlberechtigten jedes Wahlbezirkes nach der Höhe ihrer direkten Steuern in drei Klassen eingeteilt wurden. Jede Klasse wählte für sich in offener Abstimmung die gleiche Anzahl Wahlmänner, die dann erst die Abgeordneten wählen konnten. Dieses undemokratische Wahlrecht galt von 1849 bis 1918 für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus des preußischen Landtages.