Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 226

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Gegen die Politik des Parteivorstandes

[1]

Das Verhalten des Parteivorstandes gegenüber der Redaktion des Zentralorgans, „Vorwärts”[2]; séin Gewaltstreich in Duisburg[3]; seine Mitwirkung an den Parteiwirren im Frankfurter Agitationsbezirk und in Bremen[4]; der Versuch, die dem Parteivorstand mißliebigen Mitglieder der Kontrollkommission hinauszudrängen[5]; die Parteinahme für den abgesetzten Kreisvorstand von Teltow-Beeskow[6]; endlich der mit der preußischen Landeskommission ausgeführte Handstreich gegen die Berliner Genossen[7] sowie das unerhörte Attentat gegen die Berliner Arbeiter, deren Organ er, entgegen dem Willen der Berliner Genossen, in den Dienst der imperialistischen Politik vom 4. August gestellt hat, alles dies hat bewiesen, daß der Parteivorstand nicht mehr als Organ des sozialdemokratischen Klassenkampfes funktioniert, sondern als ein Organ der Regierungspolitik, das die deutsche Arbeiterklasse vor den Wagen der imperialistischen Bourgeoisie zu spannen trachtet. Der Parteivorstand erweist sich damit als eine Gefahr für den Bestand der Organisation, die politische Macht und den sozialistischen Geist der Partei, eine Gefahr, deren systematische Bekämpfung dringende Pflicht aller Genossen ist, denen die Grundsätze des Internationalen Sozialismus, die Zukunft der Arbeiterbewegung am Herzen liegen.

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[1] Redaktionelle Überschrift. – Diese Resolution wurde von Rosa Luxemburg und anderen revolutionären Sozialdemokraten auf der Generalversammlung des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend am 29. Oktober 1916 eingebracht. Sie hatte bereits der Verbands-Generalversammlung am 25. Juni 1916 vorgelegen, war aber abgelehnt worden. – Siehe dazu Rosa Luxemburg: Zur Richtigstellung. In: GW, Bd. 4, S. 201–203.

[2] Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hatte unter Mißachtung der Preßkommission und der Berliner Parteiorganisation mit Wirkung vom 1. April 1916 Hermann Müller in die Redaktion des „Vorwärts” entsandt und die Zeitung unter Vorzensur gestellt.

[3] Auf Anordnung des Parteivorstandes waren im April 1916 die Redakteure der „Niederrheinischen Arbeiterzeitung” (Duisburg) Karl Minster und Julius Schoch, die der Spartakusgruppe angehörten, unter Umgehung der örtlichen Parteileitung und der Preßkommission aus der Redaktion entfernt worden.

[4] In Frankfurt (Main) fanden Auseinandersetzungen zwischen der sozialdemokratischen Parteiorganisation der Stadt Frankfurt (Main) und dem auf seiten der Parteiopposition stehenden Bezirksvorstand Frankfurt (Main) um die „Volksstimme” statt. Nachdem die opportunistische Leitung der Frankfurter Parteiorganisation seit Januar 1916 an den Bezirksvorstand keine Beiträge mehr abgeliefert hatte, wobei sie vom Vorstand der Sozialdemokratie unterstützt wurde, der dem Bezirksvorstand die Zuschüsse entzog, gelang es ihr, die „Volksstimme“ der Kontrolle des Bezirksvorstandes zu entziehen. – Nachdem der Vorstand der Sozialdemokratie das Eigentumsrecht an der „Bremer Bürger-Zeitung” an sich gerissen hatte, teilte er im Juni 1916 der Bremer Preßkommission mit, daß sie in Zukunft nicht mehr über die politische Orientierung der Zeitung und die Besetzung der Redaktion zu bestimmen habe.

[5] Es handelt sich vor allem um Wilhelm Bock und Fritz Geyer, die zur Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft gehörten, und um Clara Zetkin als Mitglied der Spartakusgruppe. Offiziell wurden sie am 8. Mai 1917 aus der Kontrollkommission ausgeschlossen.

[6] Die Generalversammlung des Wahlkreises Teltow-Beeskow-Storkow-Charlottenburg am 18. Juni 1916 enthob den mehrheitlich sozialdemokratisch orientierten Kreisvorstand mit Franz Thurow und Max Groger an der Spitze seines Amtes und wählte einen neuen, provisorischen Kreisvorstand, in dem die Spartakusgruppe vertreten war. Obwohl der Kreisvorstand von der Berliner Verbands-Generalversammlung bestätigt wurde, erkannte ihn der Parteivorstand nicht an und bezeichnete den alten als allein zu Recht bestehend. Er ließ am 6. August 1916 eine „Ordentliche Generalversammlung” einberufen, in der eine Sonderorganisation unter Führung von Thurow und Groger gebildet wurde.

[7] Der sozialdemokratische Parteivorstand und die Mehrheit der preußischen Landeskommission hatten am 21. Mai 1916 unter Bruch des Organisationsstatuts der preußischen Sozialdemokratie beschlossen, die Funktionen im geschäftsführenden Ausschuß der preußischen Landeskommission nicht mehr dem Vorstand der Berliner Parteiorganisation zu übertragen, wenn die Verbands-Generalversammlung am 25. Juni 1916 einen oppositionellen Vorstand wählen sollte.