Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 225

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Elend, nach den immer zunehmenden Verhaftungen, von dem ist nicht viel zu erhoffen, der darf aber auch von der Zukunft für sich nicht viel erhoffen. Je stiller die Massen alles hinnehmen, um so toller treibt’s die Reaktion, und um so ärger wird es die Ausbeutung treiben. Jetzt heißt es also für die deutschen Arbeiter, sich sagen: entweder – oder! Jeder Arbeiter und jede Arbeiterfrau müssen jetzt wissen, was sie wählen: ob entschlossenen, mutigen Kampf für die Befreiung der Arbeiter und Frieden, so wie Liebknecht um sie kämpfte, oder – geduldiges Beugen des Rückens unter dem Joch des Imperialismus, Knechtung und Verrat am Sozialismus, an der eigenen Befreiung, an der eigenen Klassenehre.

Sollten uns da welche Opfer schrecken, die aus Demonstrationen, aus politischen Massenstreiks erwachsen können? Etwa Verlust der „Brotstelle” oder Schützengraben oder Gefängnis? Liebknecht hat nicht Schützengraben, nicht Gefängnis und auch nicht Zuchthaus gescheut! Die Hunderte anderer Genossen in Stuttgart, in Ulm, in Leipzig, in Berlin, in Braunschweig, die monatelang hinter Gefängnisgittern sitzen und auf allerlei Anklagen wegen „Landesverrats” warten, haben auch kein Opfer gescheut. Und wird nicht Leben, Gesundheit von Millionen im Schützengraben geopfert – für fremde Interessen, für die eigene Knechtung? Kann der deutsche Proletarier nur auf Geheiß des Kapitals sein Leben in die Schanze schlagen, und ist ihm um seiner eigenen Ehre willen ein Opfer zu groß?

Das kann nicht sein, das darf nicht sein!

Soll die ganze fünfzigjährige Arbeit der Sozialdemokratie, soll das Vermächtnis Lassalles, Bebels und des alten Liebknecht nicht umsonst gewesen, soll das Evangelium des völkerbefreienden Sozialismus kein toter Buchstabe für den deutschen Arbeiter sein, dann genug der stillen Ergebung in die Schrecken des Völkermordes, in die Verbrechen der Militärdiktatur! Dann heraus zum Massenprotest, heraus zum Kampf um die eigene Befreiung, um Liebknechts Befreiung, mit Liebknechts Ruf auf den Lippen:

Nieder mit dem Krieg!

Nieder mit der Regierung!

SAPMO-BA, SgY 2 V Dli/14.

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