Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 242

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Die Revolution in Rußland

[1]

Der Krieg hat um einige Jahre hinausgeschoben, er konnte nicht verhindern, was bereits vor seinem Ausbruch vernehmbar heranrückte: das Wiederaufflammen der Revolution. Das russische Proletariat, das schon seit 1911 die bleierne Last der konterrevolutionären Periode überwunden und von Jahr zu Jahr in steigendem Maße in wirtschaftlichen und politischen Massenstreiks und Demonstrationen die revolutionäre Fahne von 1905 wieder aufgegriffen hatte, das russische Proletariat ließ sich nur 2’/2 Jahre lang durch den imperialistischen Krieg desorganisieren, durch die Säbeldiktatur knebeln, durch den Nationalismus beirren. Es ist wieder aufgestanden, um das Joch des Absolutismus abzuschütteln, und hat die russische Bourgeoisie gezwungen, augenblicklich vorwärtszumarschieren.

Wenn heute die Revolution in Rußland so rasch in wenigen Tagen gesiegt hat[2], so ist es einzig und allein deshalb, weil sie eben in ihrem historischen Wesen nur die Fortsetzung der großen Revolution von 1905 bis 1907 ist. Die Konterrevolution vermochte sie nur für eine kurze Zeitspanne niederzustampfen, aber das ungelöste Werk der Revolution

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[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Nach Auskunft von Rudolf Lindau, einem Mitbegründer der KPD, ist Rosa Luxemburg die Verfasserin.

[2] Durch die Revolution im Februar 1917 in Rußland wurde der Zarismus gestürzt. Da keine Klasse über die ganze Macht verfügte, bildete sich eine Doppelherrschaft heraus. Die revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft wurde verwirklicht durch den Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten, dessen Vorsitzender der Menschewik N. S. Tschchéidse war, und die Diktatur der Bourgeoisie in Form der Provisorischen Regierung, die von dem Fürsten G. J. Lwow geführt wurde. Als Außenminister gehörten ihr an der Führer der Kadetten, P. N. Miljukow, und als Kriegs- und Marineminister der Führer der Oktobristen, A. J. Gutschkow.

Da die Innen- und Außenpolitik der Provisorischen Regierung auf die Festigung der Grundlagen des Kapitalismus und die Weiterführung des Krieges orientiert war, verschärften sich die Klassenauseinandersetzungen.