Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 237

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Ein neues Waterloo des Sozialismus

[1]

Die jetzige Entfesselung des schrankenlosen Krieges ist ein neues Stadium in dem welthistorischen Drama, das wir seit bald drei Jahren erleben. Sowenig man von dem deutschen Friedensangebot[2] im Ernst zu halten brauchte, so gut man es neben der famosen Schöpfung des „unabhängigen Polens[3] und des im Hinterhalt vorbereiteten verschärften U-Boot-Krieges[4] als einen plumpen Bluff durchschauen konnte – der Moment des Notenwechsels zwischen den Kriegführenden im Dezember/Januar markiert für den tobenden Imperialismus eine psychologische Erscheinung von hoher symptomatischer Bedeutung. Daß der deutschen Regierung das unermüdliche Siegen seit zweieinhalb Jahren, das den Krieg im ganzen nicht um einen Zollbreit vorwärtsbringt, zusammen mit den wachsenden Schwierigkeiten der Ernährung und der Munitionsherstellung sowie der Heranschaffung immer frischen Kanonenfutters ehrlich zum Hals heraushängt, darf man ihr ohne weiteres aufs Wort glauben. Daß die Lage der

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[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Nach Auskunft von Rudolf Lindau, einem Mitbegründer der KPD, ist Rosa Luxemburg die Verfasserin.

[2] Am 12. Dezember 1916 hatte die deutsche Regierung im Namen der Mittelmächte in einer Note den Ententestaaten Friedensverhandlungen vorgeschlagen, ohne auf die Bedingungen, unter denen Deutschland zum Frieden bereit wäre, einzugehen. Dic Note sollte einem bevorstehenden Friedensappell des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson zuvorkommen und die Friedfertigkeit der Imperialisten der Mittelmächte vortäuschen. Das „Friedensangebot” wurde am 30. Dezember 1916 von den Ententemächten abgelehnt.

[3] Die Mittelmächte hatten am 5. November 1916 das Königreich Polen proklamiert. Aus dem bisherigen Russisch-Polen sollte ein „selbständiger” Staat mit erblicher Monarchie und konstitutioneller Verfassung gebildet und eng mit Deutschland und Österreich-Ungarn verbunden werden. Die deutsche und die österreichisch-ungarische Regierung hofften, dadurch einen Bundesgenossen zu gewinnen, dessen Menschen- und Materialreserven sie ihrer Kriegführung dienstbar machen konnten.

[4] Deutschland eröffnete am 1. Februar 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, durch den alle Schiffe in einem festgelegten Seegebiet um England und Frankreich durch warnungslose Torpe-dierungen bedroht wurden.