Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 287

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-4/seite/287

IV Die Alternative

Die Friedensaktion im Stockholmer Stil, die darin besteht, eine Verständigung zwischen den kriegführenden Regierungen herbeizuführen, ihr durch eine gemeinsame Formel der Kriegsziele die Wege zu ebnen, eine Verschiebung in der Machtstellung der imperialistischen Staaten zu verhindern, ist also rein bürgerliche Politik. Proletarische Klassenpolitik muß die Friedensaktion überhaupt auf ein ganz anderes Geleise schieben.

Nicht dafür hat der Internationale Sozialismus Sorge zu tragen, daß die imperialistischen Regierungen sich untereinander verständigen und den Frieden auf eigene Faust schließen, sondern er muß umgekehrt seine ganze Macht einsetzen, um zu verhindern, daß der Friede auf diesem Wege, d. h. als ein Werk der kapitalistischen Regierungen, zustande kommt. Die einzige Aufgabe und das Lebensinteresse des Internationalen Sozialismus besteht gegenwärtig darin, zu erzielen, daß der Friede ein Werk des Internationalen Proletariats und seiner revolutionären Aktion, daß er im Kampf gegen die kapitalistischen Regierungen als Ausfluß der Machtstellung des Proletariats erlangt wird und eine radikale Verschiebung in den sozialen und politischen Verhältnissen der kapitalistischen Staaten herbeiführt. Vom proletarischen Klassenstandpunkt gibt es eben kein anderes Mittel, das imperialistische Völkermorden zu beenden, als den offenen Widerstand der Volksmassen, der zugleich von selbst zum Kampfe um die politische Macht im Staate sich auswachsen muß. Es ist genau dieselbe Alternative, vor der der Internationale Sozialismus am 4. August 1914 stand, und erst wenn man die ganze Unabwendbarkeit dieser weltgeschichtlichen Entscheidung eingesehen und erfaßt hat, hören die tragischen Schicksale des Sozialismus im Weltkriege auf, ein unbegreifliches Rätsel zu sein.

Nur politische Unschuld von der Art der Haaseschen Opposition kann sich einbilden, das ganze Problem des Sozialismus am 4. August hätte sich in der Frage erschöpft, ob sozialdemokratische Parlamentarier für Kriegskredite stimmen würden oder nicht. Nach dieser typischen, dem parlamentarischen Kretinismus eigentümlichen Auffassung war der Sozialismus gerettet, wenn die 110 Mann im Reichstag die Kredite verweigerten, im übrigen aber den Massen der Arbeiterschaft empfohlen wurde, ihrer „Staatsbürgerpflicht” nachzukommen, d. h. ruhig die Rolle des Kanonenfutters im imperialistischen Völkermord zu spielen. Die sozialistische Tu-

Nächste Seite »