Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 219

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Wofür kämpfte Liebknecht, und weshalb wurde er zu Zuchthaus verurteilt?

[1]

3. In der Internationale liegt der Schwerpunkt

der Klassenorganisation des Proletariats …

4. Die Pflicht zur Ausführung der Beschlüsse der

Internationale geht allen

anderen Organisationspflichten voran.

(Leitsätze)[2]

Am 4. November wird die Gerichtsverhandlung gegen Liebknecht in letzter Instanz stattfinden.[3] Liebknecht ist am 23. August in zweiter Instanz verurteilt worden. Das erste Urteil von zweieinhalb Jahren Zuchthaus, das von der ganzen Welt als unerhört empfunden worden ist, hat das Oberkriegsgericht auf vier Jahre Zuchthaus verschärft und dazu noch sechs Jahre Ehrverlust hinzugefügt, so daß Liebknecht für zehn Jahre vom Reichstag und Landtag ferngehalten werden soll! Noch nie seit die Sozialdemokratie in Deutschland besteht, ist gegen einen Sozialdemokraten wegen politischer Tätigkeit ein so ungeheuerliches Urteil gefällt worden. Auf Liebknecht stürzt die rächende Klassenjustiz der bürgerlichen Gesellschaft mit einer Wucht nieder, die in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung beispiellos ist. Und weshalb? Einzig und allein, weil er den Lehren des Sozialismus und den Interessen der Arbeiterklasse in Worten und Taten treu geblieben ist.

Seit jeher galt in der Sozialdemokratie der Klassenkampf und die Internationale Solidarität des Proletariats als oberster Grundsatz. In diesem Grundsatz wurzelt die ganze politische und wirtschaftliche Macht der

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[1] Illegales Flugblatt der Spartakusgruppe vom Oktober 1916. In: Spartakus im Kriege. Die Illegalen Flugblätter des Spartakusbundes im Kriege, gesammelt und eingeleitet von Ernst Meyer, Berlin 1927, wird Rosa Luxemburg als Verfasserin genannt.

[2] Siehe Rosa Luxemburg: Entwurf zu den Junius-Thesen. In: GW, Bd. 4, S. 46.

[3] Die Verhandlung erster Instanz gegen Karl Liebknecht fand am 28. Juni 1916 vor dem Kommandanturgericht Berlin statt. Das Urteil lautete auf 2 Jahre 6 Monate und 3 Tage Zuchthaus. Das Urteil zweiter Instanz, gefällt vom Oberkriegsgericht Berlin am 23. August 1916, lautete auf 4 Jahre 1 Monat Zuchthaus und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte für 6 Jahre. Dieses Urteil wurde in letzter Instanz am 4. November 1916 vom Reichsmilitärgericht bestätigt und damit rechtskräftig.