Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 281

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Ententeländer ausübt in der Richtung auf den Frieden und die Herabsetzung der Kriegsziele. Damit ist aber gegeben, daß die wohlwollend reservierte Haltung des offiziellen Deutschlands der Revolution gegenüber just so lange anhalten wird, wie der Krieg dauert. Sobald der Krieg, mit welchem Ausgang immer, beendet – und namentlich im Falle eines für Deutschlands Machtstellung halbwegs günstigen Ausgangs –, wird der natürliche Gegensatz zwischen dem preußisch-deutschen Militär- und Polizeistaat und der russischen Republik mit der ganzen zurückgehaltenen Heftigkeit zum Durchbruch kommen. Die Mittelmächte haben zum Vernichtungskampf gegen das revolutionäre Rußland von Hause aus viel triftigere Gründe als England, Frankreich oder Italien. Vor allem, weil Deutschland sowohl wie Österreich als die reaktionärsten Staaten Europas das größte Inventar der Reaktion vor revolutionären Gefahren zu behüten haben; ferner – weil sie sich in unmittelbarer Nachbarschaft mit dem Revolutionsherd befinden; endlich – weil beim Ausbruch einer europäischen Revolution Deutschland – wie es dessen herrschende Klassen instinktmäßig herausfühlen – gemäß seiner führenden kapitalistischen Stellung zum Mittelpunkt der Internationalen Erhebung werden würde.

Daraus ergibt sich, daß die Frist für die ungehinderte Entfaltung der russischen Revolution genau so lang bemessen ist, wie der Krieg währt. Die Dauer des Krieges ist ihre historische Galgenfrist, und das russische Proletariat kämpft so im Grunde genommen, indem es für den allgemeinen Frieden kämpft, um den Strick für den eigenen Hals. Kommt der Friede als Machwerk, als Ergebnis einer Verständigung der kapitalistischen Regierungen und nicht als das Werk der europäischen Erhebung des Proletariats zustande, dann wird er der russischen Bourgeoisie, den Ententemächten und namentlich Deutschland die Hände frei machen, damit alle am anderen Tage über das russische revolutionäre Proletariat herfallen und den gemeinsamen Feind der „Ordnung” in Europa in Blutströmen ersticken. Die Ententepresse bereitet schon die Vorwände, die Losungen und die psychologische Atmosphäre für diesen Umschwung vor. Die Stockholmer sozialistische Internationale[1] aber, die als Unterhändlerin der imperialistischen Regierungen einem „Verständigungsfrieden” zwischen ihnen vorarbeitet, betätigt sich, ohne es zu ahnen, als die Helfershelferin der künftigen schwarzen Internationale, die am Tage nach Friedensschluß der russischen Revolution den Todesstoß versetzen wird.

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[1] Ein niederländisch-skandinavischer Ausschuß des Internationalen Sozialistischen Büros hatte alle sozialistischen Arbeiterparteien und -organisationen der kriegführenden Länder für Mai 1917 zu einer Konferenz „zwecks Prüfung der internationalen Lage” nach Stockholm eingeladen. Während die Parteien der Ententeländer ablehnten, entsandte die SPD mit Befürwortung und aktiver Unterstützung deutscher Regierungsstellen im Juni eine Delegation zu vorbereitenden Besprechungen, der u. a. vom Parteivorstand Friedrich Ebert, Hermann Müller und Philipp Scheidemann angehörten. Der sozialrevolutionär-menschewistisch geführte Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten, der ebenfalls eingeladen worden war, übernahm zunächst nicht den Vorschlag des niederländisch-skandinavischen Komitees, sondern lud aus taktischen Erwägungen – mau erhoffte sich dadurch die Teilnahme der Ententesozialisten – die Sozialisten aller Länder, die gegen den Krieg und für einen demokratischen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen waren, für Juli 1917 zu einer Konferenz nach Stockholm ein. Nach Besprechungen der russischen Vertreter mit Vertretern des niederländisch-skandinavischen Komitees, das seine Konferenz hatte verschieben müssen, wurde beschlossen, eine gemeinsame sogenannte Friedenskonferenz zu organisieren. Die Zimmerwalder Linken, besonders die Bolschewiki und die Spartakusgruppe, protestierten gegen eine Konferenz mit Beteiligung rechter Sozialdemokraten und bewirkten, daß die Internationale Sozialistische Kommission als Organ der Zimmerwalder Bewegung die Unterzeichnung des Einladungsaufrufes fur die rechtssozialistische Konferenz ablehnte. Da die englische und die französische Regierung den Delegierten aus ihren Ländern die Ausreise nach Stockholm verweigerten, kam diese Konferenz nicht zustande.