Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 467

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Zwei Nachträge:

Angesichts der Tatsache, daß dem Vollzugsrat jede Mitwirkung an der gesetzgebenden Gewalt genommen und er somit zum Schattendasein einer „Kontrollinstanz” ohne Macht und Einfluß verurteilt wird, erklärte die Fraktion der USP, nunmehr am Vollzugsrat nicht mehr teilnehmen zu können. Infolgedessen ist der Vollzugsrat nunmehr aus lauter Ebert-Leuten gewählt worden. Ebert-„Kontrolle” über die Ebert-Regierung! Der Teufel von seiner Schwiegermutter kontrolliert! Die gesamte politische Macht und alle ihre Organe ausschließlich in den Händen der Scheidemänner!

Und doch, auch diese Schmach nicht ohne Feigenblättchen. Denn Haase bleibt im Rat der Volksbeauftragten, an die Lende Eberts als Schamgürtel geheftet. Jawohl, er bleibt! Und der Dittmann, der Barth bleiben sicher auch. Die Linke der USP zieht sich zur Rettung ihrer Ehre aus dem Vollzugsrat zurück, die Rechte bleibt standhaft als „prinzipienfester” Deckmantel der politischen Prostitution.

Der Haase-Konventikel kneift vor dem Parteitag, um der Verantwortung, um der klaren Entscheidung zu entgehen, die innere Logik der Dinge bringt Entscheidung und Klarheit hervor. Die Parteimassen werden direkt herausgefordert und gezwungen, ihren Richterspruch zu fällen!

Der Kongreß erfährt von seinen Regisseuren die Behandlung, die er verdient hat. Nachdem er alles getan und gelassen, was die Gegenrevolution brauchte, sollte er heimgeschickt werden. Nachdem der zweite Punkt: die Nationalversammlung, erledigt war, wollte man ungeniert den Rest der Tagesordnung abwürgen. Wozu auch das unnütze Geplauder über Sozialisierung, über Frieden, da die Hauptsache: die Diktatur der Ebert-Regierung, erreicht war? Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr sollte gehen.

Der Mohr war auch dazu bereit. Aber da griff „die Straße” ein. Bei der Enthüllung des sauberen Plans entstand auf den Tribünen ein solcher tobender, elementarer Protest, daß die Mamelucken unten im Saal denn doch Angst bekamen. Die Anhörung der beiden Referate: über die Sozialisierung und den Frieden, wurde beschlossen.

Eine leere Formalität allerdings. Zwei platonische Redeübungen zwischen Tür und Angel, angehört schon in Überziehern, „anstandshalber”.

Aber auch dieses letzte Fünklein des Schamgefühls und des Anstandes hat erst die derbe Faust der Masse von draußen herausgeschlagen.

Die Rote Fahne (Berlin),

Nr. 35 vom 20. Dezember 1918.

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