Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 466

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-4/seite/466

Volksbeauftragten[1] ab und stattete die Ebertsche Regierung in Wirklichkeit mit diktatorischen Vollmachten aus I

Der Kongreß der A.- u. S.-Räte krönt sein Werk damit, daß er die A.- u. S.-Räte jeder Macht entblößt und sie der Ebert-Clique gibt, die den Putsch des 6. Dezember, die 14 Leichen der Chausseestraße, die Konspirationen der Marten und Lorenz[2] auf dem Gewissen hat!

Der Ausgangspunkt und die einzige greifbare Errungenschaft der Revolution des 9. November war die Bildung der A.- u. S.-Räte. Der erste Kongreß dieser Räte schließt damit, daß er diese einzige Errungenschaft zunichte macht, dem Proletariat seine Machtposition entreißt, das Werk des 9. November abbaut, die Revolution zurückrevidiert!

Hier schneidet sich jedoch die gegenrevolutionäre Mache durch Übereifer ins eigene Fleisch. Die Mamelucken der Ebert-Garde haben ihren blinden Gehorsam zu weit getrieben. Der überspannte Bogen schnellt den Pfeil auf den Schützen zurück.

Da der Rätekongreß die Körperschaft selbst, von der er seine Vollmachten erhalten, die A.- u. S.-Räte, zum bloßen Schattendasein verurteilt, so hat er damit seine Vollmachten überschritten, hat das Mandat verraten, das ihm von den A.- u. S.-Räten eingehändigt war, hat den Boden aufgehoben, auf dem seine Existenz und seine Autorität fußte. Durch den Beschluß, die A.- u. S.-Räte jeder Macht zu entblößen, hat der Kongreß der A.- u. S.-Räte nicht diese, sondern sich selbst als politische Macht aufgelöst, hat seine Beschlüsse für die A.- u. S.-Räte, denen er den Todesstoß zu versetzen gedacht, null und nichtig gemacht.

Die A.- u. S.-Räte sind als politische Macht nicht aufgelöst, können nicht aufgelöst werden. Sie existieren nicht von irgendeines Kongresses Gnaden, sie sind geboren aus der revolutionären Tat der Massen am 9. November. Die revolutionäre Masse wird den ihr zugedachten Selbstmord nicht begehen. Die A.- u. S.-Räte werden bleiben, sie werden nunmehr mit verzehnfachter Energie ihre Macht ausbauen und ihr Daseinsrecht, die Revolution des 9. November, zu verteidigen haben. Sie werden das gegenrevolutionäre Werk ihrer ungetreuen Vertrauensmänner für null und nichtig erklären und werden die Kraft und den Mut finden, in dieser entscheidenden Stunde wie einst Luther zu erklären:

Hier steh’ ich, ich kann nicht anders!

Nächste Seite »



[1] Am 10. November 1918 war der Rat der Volksbeauftragten, in den neben Friedrich Ebert, Otto Landsberg und Philipp Scheidemann von der SPD, Emil Barth, Wilhelm Dittmann und Hugo Haase von der USPD eingetreten waren, von der Vollversammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte als provisorische Regierung bestätigt worden.

[2] Marten, Initiator zur Bildung der konterrevolutionären Organisation „Vereinigung deutscher Frauen für Truppenempfang”, und Lorenz, als Hauptmann im Kriegsministerium für die Waffenlieferung an Bürgerwehren verantwortlich, gehörten zu den Drahtziehern des konterrevolutionären Putsches vom 6. Dezember 1918. – Organisiert vom sozialdemokratischen Berliner Stadtkommandanten Otto Wels, dem Generalkommando des Gardekorps, dem Kriegsministerium und dem Auswärtigen Amt, hatten am 6. Dezember 1918 von reaktionären Offizieren geführte Truppenteile einen Putschversuch unternommen. Sie verhafteten den Vollzugsrat der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte, besetzten die Redaktion der „Roten Fahne, riefen Friedrich Ebert zum Präsidenten aus und schossen in der Chausseestraße in eine unbewaffnete Demonstration, wobei sie 14 Personen töteten und weitere 30 verwundeten.