Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 465

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gelung der Verhältnisse zustehe und daß die ganze politische Macht ungesäumt dem Ebert-Kabinett zu übergeben sei! Der Kongreß wurde dazu verleitet, die eigenen Debatten über die Kardinalfrage der Revolution im voraus als abgekartete Sache, als Komödie hinzustellen.

Zweites Beispiel: Am Donnerstag, nach den Referaten und den Schlußworten zum Punkt „Nationalversammlung” wird zur Abstimmung geschritten. Aus der Menge von Anträgen werden zwei entscheidende herausgegriffen: der Antrag Däumig, der die prinzipielle Frage Nationalversammlung oder Räteverfassung formuliert, und ein Antrag des Ebert-Lagers, der den Wahltermin zur Nationalversammlung auf den 19. Januar festsetzt.

Jeder Abc-Schütze begreift, daß, ehe man über den Wahltermin beschließt, erst die Grundfrage entschieden werden muß, ob überhaupt zur Wahl geschritten werden soll. Bevor das Datum feststeht, an dem der Räteverfassung der Garaus gemacht werden soll, muß man sich prinzipiell dazu äußern, ob ein solcher Streich fallen soll oder nicht.

Der Vorsitzende Leinert denkt aber über die A.- u. S.-Delegierten dieses Kongresses wie die Unternehmer alten Stils über ihre Arbeiter: „Denen kann man alles bieten.” Und richtig! Der Kongreß läßt es ruhig geschehen, daß zuerst über den Wahltermin und dann über die Däumigsche Prinzipienfrage abgestimmt wird, als sie durch einen einfachen Trick vorwegentschieden war!

Mit alledem wollen wir beileibe nicht etwa dartun, daß der Kongreß sich durch lauter äußerliche Unachtsamkeiten und Unbeholfenheiten wie ein unerfahrenes Mägdelein in die Sünde vom tückischen Verführer habe verstricken lassen. Die Zusammensetzung dieses Kongresses, sein Verhalten von Anfang bis Ende stellt ihm das Attest entschlossener, unentwegter Parteinahme für das Lager der Scheidemannschen Konterrevolution aus. Die ungenierten Manöver der Ebert-Clique enthüllen nur, daß sie den Rätekongreß direkt zu ihrer Mameluckengarde degradiert, daß sie in diesem ersten Kongreß der Revolution alle die alten Tricks und Regiekünste erneuert – und mit Glück erneuert! – hat, mit denen die Scheidemann–Legien, die „Instanzen” der alten Partei und Gewerkschaften, die Arbeiterschaft korrumpierten und gängelten, um sie für den moralischen Kladderadatsch des 4. August reifzumachen.

Der Rätekongreß tat denn auch, als williges Werkzeug der Gegenrevolution noch den letzten Schritt: Er lehnte noch ausdrücklich jede Mitwirkung des Vollzugsrats[1] an der gesetzgebenden Gewalt des Rates der

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[1] Siehe dazu Rosa Luxemburg: Um den Vollzugsrat. In: GW, Bd. 4, S. 435–439.