Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 95

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andern teils mit Freude, teils mit Sorge. Als vor zwei Jahren die Österreicher ihren bosnischen Handel mit Rußland hatten, fand Deutschland sich ,in schimmernder Wehr’ auf dem Plane, obwohl man in Wien, wie nachher gesagt worden ist, lieber allein fertig geworden wäre … Es ist nicht verständlich, wie man in Berlin meinen konnte, daß die Engländer, die eben erst eine Periode entschieden antideutscher Stimmung überwunden hatten, sich plötzlich überreden würden, daß unsere Verhandlungen mit Frankreich sie ganz und gar nichts angingen. Es handelte sich in letzter Linie um die Machtfrage, denn ein Rippenstoß, er mag noch so freundlich aussehen, ist etwas Handgreifliches, und niemand kann vorhersagen, wie bald ein Faustschlag in die Zähne darauf folgen wird … Seitdem ist die Lage weniger kritisch geworden. Im Momente, wo Lloyd George sprach, bestand, wie wir aufs genaueste informiert sind, die akute Gefahr eines Krieges zwischen Deutschland und England … Ob man nach dieser Politik, die Sir Edward Grey und seine Vertreter seit langem verfolgen und deren Berechtigung hier nicht erörtert wird, in der Marokkofrage von ihnen eine andere Haltung erwarten durfte? Uns scheint, daß, wenn man das in Berlin tat, die Berliner Politik damit gerichtet ist.”

So hatte die imperialistische Politik sowohl in Vorderasien wie in Marokko einen scharfen Gegensatz zwischen Deutschland und England sowohl wie Frankreich geschaffen. Wie war aber das Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland beschaffen? Was liegt auf dem Grunde des Zusammenstoßes hier? In der Pogromstimmung, die sich in den ersten Kriegswochen der deutschen Öffentlichkeit bemächtigt hatte, glaubte man alles. Man glaubte, daß belgische Frauen deutschen Verwundeten die Augen ausstechen, daß die Kosaken Stearinkerzen fressen und Säuglinge an den Beinchen packen und in Stücke reißen, man glaubte auch, daß die russischen Kriegsziele darauf ausgehen, das Deutsche Reich zu annektieren, die deutsche Kultur zu vernichten und von der Warthe bis zum Rhein, von Kiel bis München den Absolutismus einzuführen.

Die sozialdemokratische Chemnitzer „Volksstimme” schrieb am 2. August:

„In diesem Augenblick empfinden wir alle die Pflicht, vor allem anderen gegen die russische Knutenherrschaft zu kämpfen. Deutschlands Frauen und Kinder sollen nicht das Opfer russischer Bestialitäten werden, das deutsche Land nicht die Beute der Kosaken. Denn wenn der Dreiverband siegt, wird nicht ein englischer Gouverneur oder ein französischer Republikaner, sondern der Russenzar über Deutschland herrschen. Deshalb verteidigen wir in diesem Augenblick alles, was es an deutscher

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