Mit der Marokkopolitik kam Deutschland jedoch nicht nur in Gegensatz zu Frankreich, sondern mittelbar wiederum zu England. Hier in Marokko, in nächster Nähe Gibraltars, wo sich der zweite wichtigste Kreuzungspunkt der weltpolitischen Straßen des britischen Reiches befindet, mußte das plötzliche Auftauchen des deutschen Imperialismus mit seinem Anspruch und mit dem drastischen Nachdruck, der dieser Aktion gegeben wurde, als eine Kundgebung gegen England aufgefaßt werden. Auch formell richtete sich der erste Protest Deutschlands direkt gegen die Abmachung zwischen England und Frankreich über Marokko und Agypten vom Jahre 1904[1], und die deutsche Forderung ging klipp und klar dahin, England bei der Regelung der Marokkoaffäre auszuschalten. Die unvermeidliche Wirkung dieser Stellung auf die deutsch-englischen Beziehungen konnte für niemanden ein Geheimnis sein. Die damals geschaffene Situation wird deutlich in einer Londoner Korrespondenz der „Frankfurter Zeitung” vom B. November 1911 geschildert:
„Das ist das Fazit: Eine Million Neger am Kongo, ein großer Katzenjammer und eine starke Wut auf das ,perfide Albion’. Den Katzenjammer wird Deutschland überstehen. Was aber soll aus unserem Verhältnis zu England werden, das so, wie es ist, absolut nicht fortgehen kann, sondern nach aller historischen Wahrscheinlichkeitsrechnung entweder zur Verschlimmerung, also zum Kriege führen oder aber sich bald bessern muß … Die Fahrt des ,Panther’ war, wie eine Berliner Korrespondenz der ,Frankfurter Zeitung’ sich neulich treffend ausdrückte, ein Rippenstoß, der Frankreich zeigen sollte, daß Deutschland auch noch da ist … Über die Wirkung, die dieser Vorstoß hier hervorrufen würde, kann man sich in Berlin niemals im unklaren befunden haben; wenigstens hat kein hiesiger Zeitungskorrespondent Zweifel daran gehabt, daß England energisch auf die französische Seite rücken würde. Wie kann man in der ,Norddeutschen Allgemeinen Zeitung’ noch immer an der Redensart festhalten, daß Deutschland ,mit Frankreich allein’ zu unterhandeln hatte! Seit einigen hundert Jahren hat sich in Europa eine stetig zunehmende Verflechtung der politischen Interessen herausgebildet. Wenn einer malträtiert wird, so erfüllt das nach dem politischen Naturgesetz, unter dem wir stehen, die
[1] England und Frankreich hatten sich mit der Unterzeichnung des Vertrages vom 8. April 1904 (Entente cordiale) über strittige Kolonialfragen geeinigt. Frankreich stimmte der britischen Herrschaft über Ägypten zu, während England der französischen Regierung freie Hand in Marokko ließ.