Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 81

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Wohlgemerkt hatte dieser Kampf zur See nicht das geringste gemein mit einem wirtschaftlichen Konkurrenzkampf um den Weltmarkt. „Das englische Monopol” auf dem Weltmarkt, das angeblich die kapitalistische Entwicklung Deutschlands einschnürte und von dem heute so viel gefaselt wird, gehört in das Reich der patriotischen Kriegslegenden, die auch auf die immergrimmige französische „Revanche” nicht verzichten können. Jenes „Monopol” war schon seit den achtziger Jahren zum Schmerz englischer Kapitalisten ein Märchen aus alten Zeiten geworden. Die industrielle Entwicklung Frankreichs, Belgiens, Italiens, Rußlands, Indiens, Japans, vor allem aber Deutschlands und der Vereinigten Staaten hatte jenem Monopol aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis in die sechziger Jahre ein Ende bereitet. Neben England trat in den letzten Jahrzehnten ein Land nach dem anderen auf den Weltmarkt, der Kapitalismus entwickelte sich naturgemäß und mit Sturmschritt zur kapitalistischen Weltwirtschaft.

Die englische Seeherrschaft aber, die heute sogar manchen deutschen Sozialdemokraten den ruhigen Schlaf raubt und deren Zertrümmerung nach diesen Braven für das Wohlergehen des Internationalen Sozialismus dringend notwendig erscheint, diese Seeherrschaft – eine Folge der Ausdehnung des britischen Reichs auf fünf Weltteile – störte den deutschen Kapitalismus bisher so wenig, daß dieser vielmehr unter ihrem „Joch” mit unheimlicher Schnelligkeit zu einem ganz robusten Burschen mit drallen Backen aufgewachsen ist. Ja, gerade England selbst und seine Kolonien sind der wichtigste Eckstein des deutschen großindustriellen Aufschwungs, wie auch umgekehrt Deutschland für das britische Reich der wichtigste und unentbehrliche Abnehmer geworden ist. Weit entfernt, einander im Wege zu stehen, sind die britische und die deutsche großkapitalistische Entwicklung aufs höchste aufeinander angewiesen und in einer weitgehenden Arbeitsteilung aneinander gekettet, was namentlich durch den englischen Freihandel in weitestem Maße begünstigt wird. Der deutsche Warenhandel und dessen Interessen auf dem Weltmarkt hatten also mit dem Frontwechsel in der deutschen Politik und mit dem Flottenbau gar nichts zu tun.

Ebensowenig führte der bisherige deutsche Kolonialbesitz an sich zu einem gefährlichen Weltgegensatz und zur Seekonkurrenz mit England. Die deutschen Kolonien bedurften keiner ersten Seemacht zu ihrem Schutze, weil sie bei ihrer Beschaffenheit kaum jemand, England am wenigsten, dem Deutschen Reiche neidete. Daß sie jetzt im Kriege von England und Japan weggenommen worden sind, daß der Raub den Be-

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