Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 80

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soeben zugerufen wird: Das wollen wir gar nicht – ja, meine Herren, Sie sind am Anfange davon, und zwar an einem sehr dicken Anfang.” Und als die zweite Vorlage kam, erklärte derselbe Schaedler im Reichstag am 8. Februar 1900, nachdem er auf all die früheren Erklärungen, daß man an keine neue Flottenvorlage denke, hingewiesen hatte: „Und heute diese Novelle, die nichts mehr und nichts weniger inauguriert als die Schafjung der Weltflotte als Unterlage der Weltpolitik durch Verdoppelung unserer Flotte unter Bindung auf fast zwei Jahrzehnte hinaus.” Übrigens sprach die Regierung selbst das politische Programm des neuen Kurses offen aus: Am 11. Dezember 1899 sagte von Bülow, damals Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, bei der Begründung der zweiten Flottenvorlage: „Wenn die Engländer von einem Greater Britain (größeren Britannien – R. L.), wenn die Franzosen von einem Nouvelle France (neuen Frankreich – R. L.) reden, wenn die Russen sich Asien erschließen, haben auch wir Anspruch auf ein größeres Deutschland … Wenn wir nicht eine Flotte schaffen, welche genügt …, unseren Handel und unsere Landsleute in der Fremde, unsere Missionen und die Sicherheit unserer Küsten zu schützen, so gefährden wir die vitalsten Interessen des Landes … In dem kommenden Jahrhundert wird das deutsche Volk Hammer oder Amboß sein.”[1] [Hervorhebungen – R. L.] Streift man die Redefloskeln von dem Küstenschutz, den Missionen und dem Handel ab, so bleibt das lapidare Programm: größeres Deutschland, Politik des Hammers für andere Völker.

Gegen wen sich diese Provokationen in erster Linie richteten, war allen klar: Die neue, aggressive Flottenpolitik sollte Deutschland zum Konkurrenten der ersten Seemacht, Englands, machen. Und sie ist auch nicht anders in England verstanden worden. Die Flottenreform und die Programmreden, die sie begleiteten, riefen in England die größte Beunruhigung hervor, die seitdem nicht nachgelassen hat. Im März 1910 sagte im englischen Unterhause Lord Robert Cecil bei der Flottendebatte wieder: Er fordere jedermann heraus, irgendeinen denkbaren Grund dafür anzugeben, daß Deutschland eine riesige Flotte baue, es sei denn, daß damit beabsichtigt werde, einen Kampf mit England aufzunehmen. Der Wettkampf zur See, der auf beiden Seiten seit anderthalb Jahrzehnten dauerte, zuletzt der fieberhafte Bau von Dreadnoughts und Überdreadnoughts, das war bereits der Krieg zwischen Deutschland und England. Die Flottenvorlage vom 11. Dezember 1899 war eine Kriegserklärung Deutschlands, die England am 4. August 1914 quittierte.

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[1] Stenographische Berichte. Verhandlungen des Reichstags, X. Legislaturperiode, I. Session 1898/1900, Vierter Band, Berlin 1900, S. 3293–3295.